Wachstumschancengesetz - 28. Juni 2024

Ein zu kleiner Impuls

Nach einem wahren Verhandlungsmarathon ist nun endlich das Gesetz in Kraft, das für die Wirtschaft zu einem spürbaren Wachstumsaufschwung führen sollte. Die nun geltenden Änderungen bleiben jedoch aus finanziellen Gründen hinter den Erwartungen zurück.

Das lange mit großen Erwartungen verbundene Wachstumschancengesetz ist nun endlich in Kraft getreten. Die Vorschriften sind zwar ein Schritt in die gewünschte Richtung, gleichwohl aber werden weitere Schritte sinnvoll und auch notwendig sein, um tatsächlich einen spürbaren Wachstumsimpuls für die Wirtschaft zu setzen. Denn die ursprünglich vorgesehenen Erleichterungen von rund 7 Milliarden Euro wurden nach dem Durchlauf im Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat auf nun nur noch rund 3 Milliarden Euro reduziert.

Gesetzgebungsverfahren

Am 30. August 2023 wurde der Regierungsentwurf zum Gesetz zur Stärkung von Wachstumschancen, Investitionen und Innovation sowie Steuervereinfachung und Steuerfairness (Wachstumschancengesetz) veröffentlicht. Nachdem der Bundestag dieses Gesetz am 17. November 2023 verabschiedet hatte, fand der Regierungsentwurf am 24. November 2023 im Bundesrat jedoch keine Mehrheit. Hintergrund war, dass die Bundesregierung die von dem Bundesrat benannten Änderungen im Entwurf des Wachstumschancengesetzes nur teilweise umgesetzt hatte. Insbesondere kritisierten die Länder, dass der Bundestag nur punktuell auf die Änderungsvorschläge des Bundesrats aus dem ersten Durchgang des Gesetzentwurfs eingegangen sei. Außerdem würden die finanziellen Belastungen für Länder und Kommunen zu hoch sein. Der Bundesrat fasste daher am 24. November 2023 den Beschluss, das Wachstumschancengesetz an den Vermittlungsausschuss zu verweisen, der dann am 21. Februar 2024 hierzu tagte. Der überarbeitete Gesetzentwurf – ohne Klimaschutz-Investitionsprämie – wurde am 23. Februar 2024 im Anschluss an die politischen Diskussionen zwischen Bund und Ländern durch den Bundestag beschlossen. Am 22. März schließlich stimmte der Bundesrat dem Wachstumschancengesetz und damit dem Kompromissvorschlag des Vermittlungsausschusses von Bundestag und Bundesrat zu.

Inhalt und Ziele des Gesetzes

Ziel des Wachstumschancengesetzes soll die Stärkung des Standorts Deutschland sein. Zu diesem Zweck sollen steuerliche Rahmenbedingungen für mehr Wachstum, Investitionen und Innovationen geschaffen und soll dadurch zugleich die Wettbewerbsfähigkeit gefördert werden. Hierzu soll das Steuersystem an einigen zentralen Stellen vereinfacht und sollen durch Anhebung von Schwellenwerten und Pauschalen vor allem kleine Betriebe von Bürokratie entlastet werden. Zu den Maßnahmen gehören unter anderem auch die Anhebung der Grenze für die Buchführungspflicht bestimmter Steuerpflichtiger gemäß § 141 Abgabenordnung (AO) sowie die Anhebung der Grenze für die sogenannte Istbesteuerung gemäß § 20 S. 1 Nr. 1 Umsatzsteuergesetz (UStG).

Anhebung der Grenze für die Buchführungspflicht

Steuerliche Buchführungs- und Aufzeichnungspflichten ergeben sich zum einen originär aus steuerlichen Vorschriften, zum anderen kann eine Steuerpflichtige oder ein Steuerpflichtiger auch aus anderen Gesetzen als den Steuergesetzen, insbesondere aus dem Handelsgesetzbuch (HGB), zur Buchführung – und damit auch zu einer Bilanzierung – sowie zur Aufzeichnung verpflichtet sein. Über § 140 AO sind diese außersteuerlichen Pflichten auch für die Besteuerung zu erfüllen, soweit die nicht steuerlichen Bücher für die Besteuerung von Bedeutung sind. Die handelsrechtlichen Pflichten werden durch § 140 AO auf diesem Wege also zu steuerlichen Pflichten transformiert. Bestehen hiernach solche sogenannte derivative Buchführungspflichten und erzielt der Steuerpflichtige Gewinneinkünfte im Sinne von § 2 Abs. 2 S. 1 N r. 1 Einkommensteuergesetz (EStG), muss der Gewinn nach § 5 Abs. 1 EStG in Verbindung mit § 4 Abs. 1 EStG durch Bilanzierung ermittelt werden. Eine Einnahmenüberschussrechnung entsprechend § 4 Abs. 3 EStG scheidet dann aus. Für viele gewerblich tätige Unternehmen ist die Einnahmenüberschussrechnung gemäß § 4 Abs. 3 EStG jedoch wegen des geringeren Aufwands vorteilhafter. Regelungen, wann Gewinne im Wege der Einnahmenüberschussrechnung anstatt der Bilanzierung ermittelt werden können, enthält § 141 AO. Nach bisheriger Rechtslage bestand entsprechend § 141 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO ab einer Umsatzhöhe von mehr als 600.000 Euro eine Pflicht zur Bilanzierung. Auf Basis des Wachstumschancengesetzes wurde diese Umsatzgrenze nunmehr mit Wirkung ab dem 1. Januar 2024 auf 800.000 Euro erhöht. Die Grenzen für die Gewinne aus Gewerbebetrieb (§ 141 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 AO) und Land- und Forstwirtschaft (Nr. 5) steigen im gleichen Zuge von mehr als 60.000 Euro auf jetzt mehr als 80.000 Euro. Damit wurden die Schwellenwerte der Umsatz- beziehungsweise Gewinngrenzen um rund 17 Prozent angehoben. Vor diesem Hintergrund sollten daher eventuelle Aufforderungen des Finanzamts, zu einer Bilanzierung überzugehen, nicht aus dem Blick geraten. Liegt aufgrund des Überschreitens der bisherigen Umsatz- oder Gewinngrenzen eine Aufforderung des Finanzamts vor, ab dem 1. Januar 2024 zu einer Bilanzierung überzugehen und überschreiten, Umsatz sowie Gewinn im Jahr 2024 voraussichtlich nicht die neuen Grenzen nach dem Wachstumschancengesetz, sollte in Betracht gezogen werden, gemäß § 148 AO einen Antrag auf Rücknahme der Aufforderung zur Bilanzierung bei dem jeweils zuständigen Finanzamt zu stellen.

Anhebung der Grenze für die Istversteuerung

Grundsätzlich gilt für die Umsatzsteuer die sogenannte Sollversteuerung (§ 16 Abs. 1 UStG). Die Umsatzsteuer ist danach bereits dann an das Finanzamt abzuführen, wenn eine Leistung erbracht wurde. Der Zeitpunkt der Rechnungsstellung und die Bezahlung durch den jeweiligen Kunden spielen bei der Sollversteuerung damit keine Rolle. Werden jedoch einige Voraussetzungen erfüllt (vgl. hierzu § 20 UStG), kann die sogenannte Istversteuerung bei dem Finanzamt beantragt werden. In diesem Fall ist die Umsatzsteuer erst zu dem Zeitpunkt anzumelden und an das Finanzamt abzuführen, in dem die Rechnung durch den Kunden beglichen wurde. Die sogenannte Istversteuerung war bisher unter anderem in Fällen zu gewähren, in denen ein Unternehmer im vorangegangenen Kalenderjahr einen Gesamtumsatz von nicht mehr als 600.000 Euro generiert hat (§ 20 S. 1 Nr. 1 UStG). Durch das Wachstumschancengesetz wurde diese Grenze zum Zwecke des Gleichlaufs mit der AO nun entsprechend auf 800.000 Euro gleichfalls mit Wirkung ab dem 1. Januar 2024 angehoben.

Zielerreichung oder -verfehlung?

Die geplanten Änderungen beziehungsweise die Anpassung der Grenzen für die Istversteuerung gemäß § 20 S. 1 Nr. 1 UStG und die Anpassung der Grenze für die Bilanzierungspflicht gemäß § 141 AO sind im Lichte der Inflation dem Grunde nach zu begrüßen. Durch die Erhöhung der Schwellen ersparen sich jedenfalls kleinere Unternehmen einen wirtschaftlichen Mehraufwand, der durch eine Bilanzierungspflicht entstehen würde. Allerdings dürften die vorgenommenen Anhebungen wohl nicht ausreichend sein. Wie die Bundessteuerberaterkammer (BStBK) in ihrer Stellungnahme vom 25. Juli 2023 ausführt, profitieren lediglich etwa 11.000 Unternehmen von diesen Änderungen. In Anbetracht der über drei Millionen Unternehmen in Deutschland erscheint die Zahl der profitierenden Unternehmen daher als verschwindend gering, denn die Erleichterungen würden danach nur circa 0,37 Prozent aller Unternehmen betreffen. Eine stärkere Anhebung und eine breitere Entlastung wären wünschenswert. Obwohl die vorstehenden Regelungen durchaus einen guten Anfang darstellen, bilden sie nur einen kleinen Ausschnitt des Wachstumschancengesetzes. Aber auch Regelungen, die einen erheblichen Mehraufwand für Unternehmen, Berater, aber auch für die Finanzverwaltung hätten verursachen können und zu keinem Mehrgewinn geführt hätten (zum Beispiel die §§ 138l bis 138n AO-E), waren in dem Entwurf noch vorhanden. Zu Recht wies bereits die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) in ihrer Stellungnahme 43 aus dem Juli 2023 (BRAK-Stellungnahme-Nr. 43/2023) darauf hin, dass diese Regelungen weder wachstums- noch investitionsfördernd sind. Auch der Wirtschaftsausschuss hatte sich in seiner Empfehlung vom 24. November 2023 (BR-Drs. 588/1/23) jedenfalls zu einer Streichung der Regelungen der §§ 138l bis 138n AO-E ausgesprochen. Diese Regelungen wurden im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens nicht mehr zum Inhalt des Wachstumschancengesetzes gemacht, sodass insoweit jedenfalls ein Schritt in Richtung Zielerreichung gemacht wurde.

Fazit und Ausblick

Die zunächst vorgesehenen Erleichterungen von rund 7 Milliarden Euro wurden nach dem Durchlauf im Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat auf nur noch rund 3 Milliarden Euro reduziert. Nachdem die Bundesregierung eine Protokollerklärung mit der Ankündigung weiterer Entlastungen abgegeben hatte, gaben einige der unionsgeführten Länder schließlich ihre Zustimmung zum Vermittlungsergebnis. Die Ankündigung weiterer Entlastungen reicht dabei etwa vom Steuerrecht über den Bürokratieabbau für Agrarbetriebe bis zur Prüfung von Steuererleichterungen für alternative Kraftstoffe, sobald die rechtlichen Voraussetzungen der Europäischen Union (EU) hierfür vorliegen. Das Wachstumschancengesetz ist zwar ein Schritt in die richtige Richtung, gleichwohl aber werden weitere Schritte sinnvoll und auch notwendig sein, um einen spürbaren Wachstumsimpuls zu setzen.

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Zu den Autoren

JB
John Büttner

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Steuerrecht bei der Kanzlei FPS in Frankfurt am Main

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AF
Alexander Flit

Rechtsreferendar bei der Kanzlei FPS in Frankfurt am Main

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