Mit der Umsetzung des Elektro- und Elektronikgerätegesetzes soll eine Verringerung des Elektroschrotts erreicht werden. Das Gesetz verpflichtet die Händler zur Rücknahme von Altgeräten – die Auswirkungen auf den Online-Handel sind noch ungeklärt.
Aktuell sorgt die Neufassung des Elektro- und Elektronikgerätegesetzes (ElektroG) für große Aufregung bei Herstellern und Händlern von elektronischen Geräten. Dieses Gesetz, das am 24. Oktober 2015 in Kraft getreten ist, enthält viele Neuerungen, insbesondere umfassende Rücknahmepflichten für Händler, die zum Teil unabhängig davon gelten, ob der Endkunde ein Neugerät kauft oder nicht. Die Nichtbeachtung dieser Pflichten wird vermutlich wettbewerbsrechtliche Abmahnungen nach sich ziehen.
Hintergrund der Neuregelung
Die rechtlichen Vorgaben für das neue ElektroG stammen vom europäischen Richtliniengeber. Dieser hat am 13. August 2012 die Richtlinie 2012/19/EU (WEEE-Richtlinie) erlassen. Danach waren alle EU-Mitgliedstaaten verpflichtet, die Richtlinie per Gesetz bis spätestens 14. Februar 2014 umzusetzen. Die fast eineinhalbjährige Verspätung wird Deutschland eine Strafe in zweistelliger Millionenhöhe kosten. Die Gründe für den Erlass der WEEE-Richtlinie sind vielschichtig. Eine große Rolle spielt der Umweltschutz. Vor allem sollen Gefahrstoffe aus dem gewöhnlichen Hausmüll verschwinden. Aber auch wirtschaftliche Faktoren sind relevant. Der Richtliniengeber strebt an, dass 2016 rund 45 Prozent des Elektromülls erfasst und wiederverwertet werden. Bis 2019 soll die Quote sogar auf 65 Prozent steigen. Von den 23 Kilogramm Elektroschrott, die eine Person durchschnittlich pro Jahr in Deutschland produziert, werden bislang nur 8,8 Kilogramm gesammelt, also weniger als 40 Prozent. Bundesumweltministerin Barbara Hendricks drückte es in einer Stellungnahme wie folgt aus: „Computer oder Handys sind echte Rohstofflager. (…) Das spart unserer Volkswirtschaft viel Geld und schont die Umwelt.“ Aber auch die organisierte Kriminalität soll bekämpft werden: Eine überwachte Rücknahmepflicht dämmt den illegalen Export von elektronischen Altgeräten ein.
Rücknahmepflichten der Händler
Die kritischste Neuregelung enthält § 17 ElektroG mit der Überschrift „Rücknahmepflicht der Vertreiber“. Danach sind Händler mit einer Verkaufsfläche für Elektro- und Elektronikgeräte von mindestens 400 Quadratmeter ab 24. Juli 2016 (nach Ablauf der Übergangsfrist) verpflichtet, Elektro- oder Elektronikgeräte kostenlos zurückzunehmen, wenn der Endnutzer ein vergleichbares Gerät kauft. Darunter fallen praktisch alle üblichen elektronischen Geräte oder Verbraucher, unter anderem Waschmaschinen, Kühlschränke, Mikrowellen, Lampen, Computer, Glühbirnen. Wenn es sich um ein Kleingerät handelt, das in keiner Abmessung größer als 25 Zentimeter ist, muss es der Händler in haushaltsüblichen Mengen sogar dann zurücknehmen, wenn der Kunde es nicht bei ihm, sondern bei einem anderen Händler erworben hatte. Betroffen sind aber nicht nur stationäre Händler, sondern auch Online-Händler, selbst, wenn sie keine Verkaufsfläche vorhalten. § 17 Abs. 2 ElektroG stellt nämlich „alle Lager- und Versandflächen für Elektro- und Elektronikgeräte“ den stationären Verkaufsflächen gleich. Durch diese Gleichstellung trifft die Rücknahmepflicht beispielsweise auch einen Online-Shop für Sportbekleidung, der nebenbei Pulsmessgeräte vertreibt, sofern seine Lager- und Versandflächen mindestens 400 Quadratmeter betragen. Denn nach der Gesetzesbegründung kommt es auf die Grundfläche am jeweiligen Lager- beziehungsweise Versandstandort an. Lagert genannter Sportbekleidungshändler seine Artikel in ein und demselben Lager (also sowohl die Sportbekleidung als auch die Pulsmessgeräte), fällt er unter § 17 Abs. 2 ElektroG. Eine Überlegung wäre es, eine von der Hauptversand-/ Lagerfläche örtlich getrennte Lager- beziehungsweise Versandfläche speziell für Elektro- und Elektronikgeräte zu schaffen, die kleiner als 400 Quadratmeter ist. Ob man dadurch § 17 Abs. 2 ElektroG umgehen kann, muss erst die Rechtsprechung klären.
Praktische Umsetzung der Rücknahmepflichten
Klassische Einzelhändler, die Geräte nicht über das Internet vertreiben, jedoch über eine Verkaufsfläche ab 400 Quadratmeter verfügen, können Rücknahmestellen unmittelbar in ihren Filialen einrichten. Unklar sind die Pflichten von Online-Händlern. § 17 Abs. 2 ElektroG verpflichtet Letztere, Rücknahmestellen „in zumutbarer Entfernung zum jeweiligen Endnutzer“ einzurichten. Das Gesetz definiert jedoch nicht, was dem Endnutzer zumutbar ist. Nach Angaben des Bundesumweltministeriums könne ein flächendeckendes Netz aus Sammelstellen ausreichend sein. Denkbar sei aber auch die Möglichkeit, dass der Endkunde seine Altgeräte kostenlos an den Online-Händler zurückschicken kann.
Folgende Möglichkeiten sind im Online-Bereich denkbar:
- Rücknahmenetze
Ähnlich wie bei einem Pfandsystem bieten spezielle Dienstleister Rücknahmenetze an, die Online-Händler gebührenpflichtig nutzen können. Dieses System funktioniert allerdings nur, wenn zahlreiche Händler an dem Netzwerk teilnehmen. - Postalische Rücknahme
Die Rücksendung ist ferner auf dem Postweg möglich. Die anfallenden Kosten dürfen aber nicht auf den Endkunden abgewälzt werden. Je nach Rücknahmemengen kann die Übernahme der Rücksendekosten den Händler finanziell stark belasten. Zudem ist die Rücksendung nicht umweltfreundlich, da das ohnehin schon hohe Paketaufkommen abermals steigen würde. Zudem besteht die Gefahr, dass viele Konsumenten solche Geräte, die eigentlich Gefahrgut sind, unsachgemäß verpacken und unzulässigerweise als gewöhnliches Paket kennzeichnen und versenden. - Kooperation mit dem Einzelhandel oder mit Sozialbetrieben
Denkbar ist auch, dass sich eine Vielzahl von Online-Händlern zusammenschließt, um mit stationären Händlern zusammenzuarbeiten und deren lokale Rücknahmestellen mitzubenutzen. Kooperierende Einzelhändler könnten dazu lokale Rücknahmestellen einrichten (beispielsweise in größeren Einkaufszentren). Die Aufgabe von Einzelhändlern könnten auch Sozialbetriebe übernehmen, beispielsweise Behindertenwerkstätten. - Verweis auf öffentliche Sammelstellen?
Wäre es nicht praktischer, wenn ein Händler den Endkunden einfach zum nahe gelegensten öffentlichen Wertstoffhof weiterschicken könnte? Das verbietet jedoch bereits das Elektrogesetz ausdrücklich durch § 17 Abs. 4 S. 1 ElektroG.
Meldepflichten für Hersteller und Händler
Neben den eben dargestellten Rücknahmepflichten bringt § 8 Abs. 1 bis 3 ElektroG eine weitere Neuerung mit weitreichenden Folgen: Ausländische Hersteller, die Elektrogeräte herstellen und in Deutschland anbieten, haben der zuständigen deutschen Behörde einen sogenannten Bevollmächtigten zu melden. Gleiches gilt für ausländische Importeure, die Auslandsprodukte erstmals in Deutschland anbieten, sowie für ausländische Online-Händler, deren Angebot sich auch an deutsche Endkunden richtet. Bevollmächtigter kann eine inländische natürliche oder juristische Person sein, die für den ausländischen Hersteller eigenverantwortlich für die Einhaltung des Elektrogesetzes sorgt. Damit aber nicht genug: § 8 Abs. 5 ElektroG verpflichtet umgekehrt deutsche Online-Händler, in jedem anderen EU-Land, in das sie Elektrogeräte vertreiben, jeweils einen Bevollmächtigten an die im jeweiligen Land zuständige Behörde zu melden. Gerade große Online-Shops, die europaweit versenden, sind von dieser Regelung betroffen.
Folgen einer Nichtbeachtung der Neuregelung
Das ElektroG droht für Verstöße behördliche Bußgelder von bis zu 100.000 Euro an. Viel nahe liegender sind jedoch zivilrechtliche Maßnahmen: Werden die Bevollmächtigten nicht gemäß § 8 ElektroG an die zuständige inländische oder ausländische Behörde gemeldet, könnte darin nach deutschem Wettbewerbsrecht ein Verstoß gegen eine Marktverhaltensregel gemäß § 3a Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) vorliegen mit der Folge, dass Konkurrenten oder Verbraucherverbände die Verpflichteten auf Unterlassung in Anspruch nehmen. Dass § 8 ElektroG eine Marktverhaltensregel darstellt, ist stark anzunehmen. Nach Ablauf der Übergangsfrist (24. Juli 2016) werden die ersten Gerichtsentscheidungen hierzu nicht lange auf sich warten lassen. Zu beachten sind darüber hinaus auch alle Rechtsordnungen der übrigen EU-Staaten, die ebenfalls gleiche oder ähnliche Melde- beziehungsweise Rücknahmepflichten wie das deutsche ElektroG statuieren. Fälle von Abmahnungen sind bereits aus Österreich bekannt. Dort wurde die WEEE-Richtlinie bereits umgesetzt. Der Abmahner, ein österreichischer Verbraucherverband, stützt sich darauf, dass nach der österreichischen Vorschrift § 21b Abs. 1 Elektroaltgeräteverordnung (EAG-VO) jeder Fernabsatzhändler, der in Österreich Elektro- oder Elektronikgeräte direkt an Endverbraucher liefert – also auch deutsche Online-Händler – einen Bevollmächtigten benennen muss. Dieser Bevollmächtigte kann eine natürliche Person oder ein Unternehmen sein und ist für die Erfüllung der österreichischen Verpflichtungen nach der EAG-VO verantwortlich. Unterlässt ein deutscher Online-Händler diese Meldung, verstößt er nach Ansicht des Abmahners automatisch gegen österreichisches Wettbewerbsrecht.
Finanzielle Auswirkungen für Online-Händler
Noch kann man nicht genau einschätzen, wie sich die Neuregelungen auf Händler auswirken. Es ist jedoch zu erwarten, dass vor allem kleinere und mittelgroße Online-Händler finanziell erheblich belastet werden. Während Großhändler wie Amazon aufgrund ihrer Marktmacht günstige Tarife mit den Paketdienstleistern oder bundesweiten Rücknahmeanbietern verhandeln können, fehlt kleineren Händlern die nötige personelle Stärke, um den gesteigerten organisatorischen Aufwand zu meistern. Rücksendekosten sowie Organisationsaufwand spüren kleinere Händler wesentlich stärker. Ein weiterer Nachteil liegt darin, dass aufgrund der Veranlagung der Rücknahme- und Verwertungspflichten die Anzahl der zurückzunehmenden Geräte, die Abholorte, die effektiv zurückzunehmende Gewichtsmenge sowie die Entsorgungskosten praktisch unmöglich im Voraus kalkulierbar und somit budgetierbar sind. Das führt zu einem hohen Kalkulationsrisiko bei den betroffenen Händlern. Zudem müssen deutsche Exporteure in der Regel in jedem einzelnen EU-Zielland einen eigenen Bevollmächtigten melden. Das führt zu einer Doppelbelastung, da die verkauften Geräte eigentlich zweimal, nämlich beim Export in Deutschland und beim Import im Zielland, angemeldet und für die verschiedenen Verpflichtungen bezahlt werden müssen.
Sind die Mehrkosten umlegbar?
Es wird sich zeigen, ob die betroffenen Händler die Mehrkosten auf die Verbraucherpreise umlegen werden. Das ist von mehreren Faktoren abhängig, unter anderem von der Wettbewerbsintensität auf den jeweiligen Märkten. Ein Umlegen der Kosten ist insofern nicht auszuschließen, das Ausmaß kann aber nicht abgeschätzt werden. Zumindest aber können die künftigen Mehrkosten, die den betroffenen Herstellern, Importeuren beziehungsweise Händlern entstehen, steuerlich ohne Weiteres als Betriebsausgaben abgesetzt werden.
Was können betroffene Unternehmen jetzt tun?
Es ist ratsam, sich bereits jetzt eingehend auf die Anforderungen des neuen ElektroG vorzubereiten. Insbesondere genügt es nicht, nur das deutsche ElektroG zu kennen. In jedem EU-Land, in das ein Online-Händler seine Elektrogeräte versendet, müssen die länderspezifischen Bestimmungen befolgt werden. Dies würde einen kaum zu bewältigenden Aufwand bedeuten, denn man müsste sich mit den Bestimmungen jedes EU-Lands auseinandersetzen. Zahlreiche europaweit tätige Dienstleister werden deshalb für die Händler in den entsprechenden anderen EU-Staaten als Bevollmächtigte fungieren und sich um den jeweiligen Verwaltungsaufwand kümmern – günstig dürfte dieser Service nicht sein.