Einkommensteuer - 20. August 2024

Kein Abzug von Aufwendungen für den Abriss und Neubau eines formaldehydbelasteten Wohnhauses als außergewöhnliche Belastung

FG Baden-Württemberg, Mitteilung vom 20.08.2024 zum Urteil 1 K 1855/21 vom 01.02.2014 (rkr)

  1. Überschreitet die Belastung der Raumluft mit Formaldehyd in einem Wohnhaus den Grenzwert von 0,1 ppm, ist von einer konkreten Gesundheitsgefährdung auszugehen.
  2. Aufwendungen für den mit Verweis auf eine Gesundheitsgefährdung getätigten Abriss eines formaldehydbelasteten Einfamilienhauses sowie für dessen späteren Neubau sind dann nicht als außergewöhnliche Belastung abzugsfähig, wenn der Abriss des Gebäudes und der Neubau nicht notwendig waren, um die Formaldehydemission zu beseitigen.

Sachverhalt

Streitig ist der Abzug von außergewöhnlichen Belastungen im Streitjahr 2018 i. H. v. 191.567 Euro. Der Kläger ist Eigentümer eines freistehenden Einfamilienhauses. Er ließ sein Schlafzimmer baubiologisch von dem als Zeugen vernommenen Diplom-Ingenieur F untersuchen. Der Baubiologe stellte in seinem „Kurzbericht“ vom 24.03.2017 unter anderem eine leicht auffällige Lindan-Konzentration und eine hohe Formaldehydkonzentration (0,112 ppm) fest. Er empfahl Minimierungsmaßnahmen. In einem ärztlichen Attest führte ein Facharzt für Innere Medizin aus, dass der Kläger unter bestimmten Beschwerden leide, wenn er sich – insbesondere in den Herbst- und Wintermonaten – in seinen Wohnräumen aufhalte. Diese Beschwerden seien bei Geschäfts- und Urlaubsreisen auch im Winter „praktisch weggeblasen“. Der Zusammenhang mit dem häuslichen Raumklima sei durch Baugutachten zur Schadstoffbelastung mit Formaldehyd belegt. Um gesundheitlichen Schaden abzuwenden, riet er dem Kläger „wenn möglich“ zur Sanierung oder zum Umzug.

Der Kläger ließ das Wohngebäude abreißen und auf dem Bestandskeller ein neues Einfamilienhaus mit Garage errichten. In seiner Einkommensteuererklärung für 2018 machte der Kläger Aufwendungen als außergewöhnliche Belastungen wegen eines Neubaus aufgrund einer Formaldehydbelastung geltend. Das beklagte Finanzamt lehnte den Abzug der geltend gemachten außergewöhnlichen Belastungen ab.

Das Finanzgericht wies die Klage im Wesentlichen aus den folgenden Gründen ab:

Außergewöhnliche Belastungen für Gegenstände des existenznotwendigen Bedarfs

Aufwendungen, die im Zusammenhang mit Gegenständen des existenznotwendigen Bedarfs stehen, können außergewöhnliche Belastungen nach § 33 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) sein. Gehen von einem Gegenstand des existenznotwendigen Bedarfs konkrete Gesundheitsgefährdungen aus, entstehen die Aufwendungen zur Beseitigung dieser Gefährdung dem Steuerpflichtigen aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig und sind deshalb grundsätzlich als außergewöhnliche Belastungen abziehbar.

Konkrete Gesundheitsgefährdung bei Überschreiten des Grenzwertes für Formaldehyd von 0,1 ppm

Im Hinblick auf die Belastung der Raumluft in einem Wohnhaus ist beim Überschreiten des Grenzwertes von 0,1 ppm von einer konkreten Gesundheitsgefährdung auszugehen. Eine Formaldehydbelastung von Innenräumen kann durch Bauprodukte oder Möbel entstehen, bei deren Herstellung Spanplatten verwendet werden. Bei Spanplatten, die unter Verwendung von Harnstoff-Formaldehydharzen hergestellt werden, kommt es häufig zu einer nachträglichen Formaldehyd-Abgabe bzw. Abspaltung. Die Ausdünstungen von mit Formaldehyd behandeltem Holz können gesundheitsbeeinträchtigende Mengen dieser Substanz an die Raumluft abgeben, wodurch – je nach persönlicher Empfindlichkeit – verschiedene Reizzustände verursacht werden können, die nach Beendigung der Exposition abklingen. In Deutschland regelt die Chemikalien-Verbotsverordnung (ChemVerbotsV) seit 1996, dass beschichtete und unbeschichtete Holzwerkstoffe (Spanplatten, Tischlerplatten, Furnierplatten und Faserplatten) vor Inverkehrbringen geprüft werden müssen. Dabei gilt, dass die durch den Holzwerkstoff verursachte Konzentration des Formaldehyds in der Luft eines Prüfraums 0,1 ⁠ppm nicht überschreiten soll (§ 3 Abs. 2 ChemVerbotsV i. V. m. Anlage 1 – Eintrag 1 – Spalte 2).

Der Gesetzgeber sieht danach eine Formaldehydausgasung, die zu einer Formaldehydkonzentration in der Raumluft von mehr als 0,1 ppm führt, typisierend als gesundheitsgefährdend an. Dies gilt insbesondere in Anbetracht der Tatsache, dass ein gesetzliches Verbot die ultima ratio der Gefahrenvorsorge darstellt und daher nur bei erheblichen Gefahren angeordnet werden kann. Dem hat sich die Rechtsprechung angeschlossen und nimmt auch im Rahmen der steuerrechtlichen Prüfung der Zwangsläufigkeit an, dass Sanierungsmaßnahmen im Hinblick auf Gegenstände, die eine über dem Wert von 0,1 ppm liegende Formaldehydbelastung von Innenräumen verursachen, aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig sind. Dem Steuerpflichtigen ist es nicht zumutbar, abzuwarten, ob er tatsächlich zu den besonders empfindlichen Personen gehört, die bereits bei einer nur knapp über dem Grenzwert liegenden Schadstoffbelastung mit Krankheitserscheinungen reagieren.

Notwendigkeit der Maßnahme zur Beseitigung der Formaldehydemission

Generell müssen die vom Steuerpflichtigen getroffenen Maßnahmen aber notwendig sein, um die Formaldehydemission zu beseitigen. In diesem Rahmen ist zu prüfen, ob die Gesundheitsgefahr durch Versiegelung, Abdichtung, Nachbeschichtung, Lüftungsmaßnahmen oder – so wie vorliegend begehrt – nur durch einen vollständigen Abriss und Neubau beseitigt werden kann, denn Aufwendungen nach § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG können nur steuermindernd berücksichtigt werden, soweit sie nach den Umständen des Einzelfalles „notwendig“ sind und einen „angemessenen Betrag“ nicht übersteigen.

Der Abriss des Bestandsgebäudes und der Neubau waren nicht notwendig.

Der Abriss des Bestandsgebäudes und der Neubau waren nicht notwendig. Zunächst ist es aus Sicht des Senats nicht geklärt, auf welche Bauteile des Hauses die erhöhte Schadstoffkonzentration im Schlafzimmer zurückzuführen ist. Bei der Untersuchung wurden lediglich Proben aus der Raumluft des Schlafzimmers entnommen, die keine Rückschlüsse auf den konkreten Entstehungsort der Emissionen zulassen. So weist der Zeuge in seinem „Kurzbericht“ auch darauf hin, dass zur Planung von Minimierungsmaßnahmen „noch weitere Erkundungen“ erforderlich gewesen wären. Dies hat er auch in der mündlichen Verhandlung bestätigt und ausgeführt, dass er bei einer weiteren Untersuchung durch die Entnahme von Materialproben (sog. Bauteilöffnungen) im Schlafzimmer und in mindestens einem anderen Raum des Hauses die Emissionsquellen näher eingegrenzt hätte. Manchmal seien nämlich nur die Holzbalken oder die Spanplatten an der Außen- und nicht an der Innenseite belastet. Diese weitere Begutachtung hätte in etwa zwischen 3.000 Euro bis 5.000 Euro gekostet.

Zudem hat der Zeuge lediglich Minimierungsmaßnahmen empfohlen, um die Schadstoffkonzentration und die Geruchsauffälligkeit zu reduzieren. In seiner Begutachtung vom 24.03.2017 ist die Rede von der Abdichtung von Fugen und Öffnungen und einer Verbesserung der (Ent-)Lüftung. Hierzu hat der Zeuge in der mündlichen Verhandlung ergänzt, dass man die Emissionen durch Sanierungsmaßnahmen zwar nicht auf Null, aber doch deutlich reduzieren und so ein „unproblematisches Level“ erreichen könne. Hierzu werde z. B. von der Innenseite eine Abdichtung an die belasteten Wände angebracht oder ein geeignetes Entlüftungssystem mit einer ausreichenden „Luft-Wechsel-Rate“ installiert. Der vollständige Abriss und Neubau sei daher in seiner Begutachtung nicht vorgeschlagen worden. Eine solche Maßnahme werde auch – anders als bei einem starken Schimmelpilzbefall – nicht empfohlen („Wir formulieren das nie so.“). Die Empfehlung, dass das gesamte Haus abgerissen werden müsse, werde in einem solchen Fall wie dem vorliegenden nicht ausgesprochen. Sicher – so der Zeuge – sei der Abriss eine Möglichkeit, es gebe aber „weniger gravierende Maßnahmen.“ Wenn eine solche Sanierung sorgfältig ausgeführt werde, würden künftig keine hohen Konzentrationen mehr entstehen. Die Sanierung sei ein Kompromiss und müsse bei künftigen baulichen Maßnahmen beachtet werden.

In einer Gesamtschau ist zudem zu berücksichtigen, dass der Formalaldehyd-Grenzwert von 0,1 ppm nur geringfügig überschritten wurde und damit die Emissionen mit einem geringeren Aufwand als dem vollständigen Abriss und Neubau auf ein unbedenkliches Niveau hätten gesenkt werden können. Vor diesem Hintergrund ist der Senat der Überzeugung, dass die für den Abriss und Neubau geltend gemachten Aufwendungen nicht notwendig waren.

Auch ist das vorgelegte ärztliche Attest nicht geeignet, die Kausalität der Schadstoffbelastung für die gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Klägers nachzuweisen. Hierzu fehlen detailliertere Angaben zum zeitlichen Verlauf und der Schwere der Krankheiten und zu Untersuchungen zu den bereits eingetretenen Gesundheitsschäden sowie zum ausschließlichen Zusammenhang der Symptome mit der Formaldehydkonzentration.

Quelle: Finanzgericht Baden-Württemberg, Newsletter 1/2024