Jede Rechtshandlung kann vom Insolvenzverwalter nur dann angefochten werden, wenn sie die Insolvenzgläubiger benachteiligt. Diese zwingende Grundvoraussetzung der Insolvenzanfechtung wird oft vorschnell bejaht.
Jede Rechtshandlung ist nur dann anfechtbar, wenn sie die Gläubiger benachteiligt.
Nahezu jedes Unternehmen wird mindestens einmal im Leben mit Insolvenzanfechtung konfrontiert. Die Aufregung ist groß, wenn sich der Insolvenzverwalter meldet und eine vom Insolvenzschuldner schon Monate oder Jahre zuvor getätigte Zahlung für Lieferungen wieder zurückfordert. Mitunter geht es um existenzbedrohende Summen. Der Insolvenzverwalter unterstellt monatelange Kenntnis von Zahlungsunfähigkeit und listet dazu dezidiert die geplatzten Lastschriften, die Mahnschreiben, die Liefersperren oder die Vollstreckungsversuche auf. Erschreckt durch die Bedrohung zahlen die Gläubiger vorschnell den angefochtenen Betrag, um nicht mit weiteren Kosten und einem Rechtsstreit vor Gericht konfrontiert zu werden. Dabei wird schnell übersehen, dass jede Rechtshandlung nach § 129 Insolvenzordnung (InsO) nur dann anfechtbar ist, wenn sie die Gläubigerd benachteiligt. Dies ist nicht immer der Fall, auch wenn das eigentlich klar zu sein scheint.
Begriff der Gläubigerbenachteiligung
Bei jeder Anfechtung ist also immer ervst zu prüfen, ob überhaupt eine Gläubigerbenachteiligung vorliegt, bevor sich die weitere Frage stellt, ob auch die in den §§ 130 bis 136 InsO geregelten Anfechtungstatbestände erfüllt sind. Eine Gläubigerbenachteiligung ist gegeben, wenn die angefochtene Rechtshandlung entweder die Schuldenmasse vermehrt oder die Aktivmasse verkürzt und dadurch den Zugriff auf das Vermögen des Schuldners vereitelt, erschwert oder verzögert hat. Es kommt also darauf an, dass sich die Befriedigungsmöglichkeiten der Gläubiger im Insolvenzszenario ohne die angefochtene Handlung günstiger gestaltet hätten. Diese Frage ist allein anhand einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise zu beurteilen.
Unmittelbare und mittelbare Benachteiligung
Das Gesetz unterscheidet zwei Arten von Gläubigerbenachteiligung: die unmittelbare und mittelbare. Für die meisten Anfechtungstatbestände reicht bereits eine mittelbare Gläubigerbenachteiligung aus. Eine mittelbare Gläubigerbenachteiligung wird immer dann bejaht, wenn die Benachteiligung erst durch Hinzutreten weiterer Umstände eintritt. Der klassische Fall ist die Veräußerung eines Gegenstands zu einem angemessenen Preis, wobei die empfangene Gegenleistung im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens (oder danach) nicht mehr im Vermögen des Schuldners vorhanden ist, zum Beispiel weil der Schuldner diese verbraucht hat. Nur die in der Praxis nicht so häufigen Anfechtungstatbestände der §§ 132 und 133 Abs. 4 InsO verlangen eine unmittelbare Gläubigerbenachteiligung. Hier muss die Benachteiligung als unmittelbare Folge der angefochtenen Rechtshandlung eintreten. Eine Benachteiligung ist unmittelbar, wenn die Rechtshandlung die Befriedigungsmöglichkeiten der Gläubiger unmittelbar verschlechtert, das heißt ohne dass weitere Umstände hinzutreten müssen. Eine unmittelbare Benachteiligung liegt zum Beispiel dann vor, wenn der Schuldner Wardasen unter Wert verkauft, sei es auch nur im Rahmen eines Notverkaufs, um sich Liquidität zu verschaffen. Eine unmittelbare Benachteiligung scheidet hingegen aus, wenn der Schuldner für das, was er aus seinem Vermögen weggibt, unmittelbar eine vollwertige Gegenleistung erhält. Ob der Schuldner die Gegenleistung noch vor Verfahrenseröffnung verbraucht oder diese (stark) an Wert verliert, spielt für die Frage der Gläubigerbenachteiligung dann keine Rolle mehr.
Schuldnervermögen muss betroffen sein
Will der Insolvenzverwalter eine Rechtshandlung erfolgreich anfechten, muss sich diese Handlung auf solche Gegenstände beziehen, die ausschließlich dem Vermögen des Schuldners zuzuordnen sind. Der Begriff des Vermögens ist jedoch nicht wörtlich zu verstehen. Als Vermögen erfasst wird nur das haftende Vermögen des Insolvenzschuldners, also solches, das dem Zugriff der Gläubiger im Insolvenzverfahren offensteht. Somit scheidet eine Gläubigerbenachteiligung immer dann aus, wenn der Schuldner unpfändbare oder wertlose oder bereits an der Insolvenzmasse besicherte Gegenstände weggibt. Es versteht sich von selbst, dass eine Gläubigerbenachteiligung erst recht ausscheidet, wenn der Schuldner Gegenstände weggibt, die offensichtlich nicht zu seinem Vermögen gehören, die also Dritten gehören oder bereits für diese als Sicherheiten dienen. Eine Überprüfung, wem der angefochtene Gegenstand gehört oder ob der Anfechtungsgegner nur dasjenige bekommen hat, was ihm bereits als Sicherheit diente, kann sich also lohnen.
Mittelbare Zuwendungen Dritter
Vor allem bei angefochtenen Zuwendungen, an denen ein Dritter beteiligt ist, sollte genau hingesehen werden, ob hier das Schuldnervermögen oder allein das Vermögen des Dritten gemindert ist. Die Gesamtheit der Gläubiger wird nicht benachteiligt, wenn ein Dritter eine Verbindlichkeit des späteren Insolvenzschuldners mit solchen Mitteln begleicht, die nicht in dessen haftendes Vermögen gelangt sind. Bei einer Zahlung des Schuldners durch Einschaltung eines Dritten ist zwischen der Anweisung auf Kredit und der Anweisung auf Schuld zu unterscheiden.
Im Rahmen der Anweisung auf Kredit nimmt der angewiesene Dritte die Zahlung an den Empfänger ohne eine Verpflichtung gegenüber dem anweisenden Insolvenzschuldner vor. Wendet also ein Dritter dem Gläubiger freiwillig und direkt etwas aus seinem eigenen Vermögen zu, etwa weil er den Schuldner finanziell unterstützen möchte, scheidet eine Gläubigerbenachteiligung aus, denn der zugewandte Vermögenswert stammt ausschließlich aus dem Vermögen des Dritten. Unerheblich ist hierbei, ob der Dritte seine finanzielle Unterstützung dem Schuldner schenkweise zuwenden will oder hierdurch aus Auftrag eine Verbindlichkeit des Schuldners gegenüber dem Dritten begründet wird oder ob die freiwillige Zahlung später noch in ein (Vereinbarungs-) Darlehen umgewandelt wird. Denn wird der Dritte selbst Gläubiger des Schuldners, liegt darin lediglich ein Gläubigertausch, der insolvenzrechtlich als neutral zu bewerten ist. Eine Gläubigerbenachteiligung wird dagegen angenommen, wenn der Dritte eine bessere Stellung erlangt, etwa weil ihm für seine Leistung eine Sicherheit gewährt wird.
Bei der Anweisung auf Schuld dagegen tilgt der Angewiesene mit der von dem Insolvenzschuldner als Anweisendem veranlassten Zahlung an den Empfänger eine eigene, gegenüber dem Insolvenzschuldner bestehende Verbindlichkeit, sodass sich im Verlust dieser Forderung eine Gläubigerbenachteiligung äußert. Es kommt zum Beispiel in der Praxis häufig vor, dass der spätere Insolvenzschuldner wiederum seinen eigenen Schuldner (Dritter), der ihm noch Geld schuldet, anweist, den geschuldeten Geldbetrag direkt an seinen drängelnden Gläubiger zu leisten. Hier geht die Leistung des Dritten zwar auf den ersten Blick auch am Schuldner vorbei. Jedoch verliert der Schuldner durch die Anweisung des Dritten nicht nur seine Schuld gegenüber seinem Gläubiger, sondern zugleich seine eigene Forderung gegenüber dem Dritten. Im Gegensatz zu den obig dargestellten Konstellationen erbringt der Dritte keine freiwillige Leistung, sondern befreit sich selbst von einer Verbindlichkeit. Das Gleiche gilt, wenn der Dritte dem Schuldner zuvor oder zeitgleich mit der Zahlung ein Darlehen zugesagt hatte. Der Verlust einer eigenen Forderung des Schuldners vermindert seine Aktivmasse, weshalb die Rechtsprechung hier eine Gläubigerbenachteiligung bejaht. Dass die den Gläubigern zufließende Leistung im Ergebnis unmittelbar aus dem Vermögen des Dritten stammt, ist unerheblich.
Unproblematisch ist hingegen die Konstellation, in der der Dritte dem Schuldner selbst das Geld zur Verteilung an seine Gläubiger zur Verfügung stellt. Mit der Überweisung des Geldbetrags auf das (Kontokorrent-)Konto des Schuldners oder mit Aushändigung des Barbetrags gelangt das Geld – wenn auch nur vorübergehend und für einen kurzen Zeitraum – in das Schuldnervermögen. Zahlt der Schuldner dann bestimmungsgemäß den dargebotenen Geldbetrag an seine Gläubiger, liegt ein Abfluss aus dem Schuldnervermögen vor. Der Abfluss dieses Gelds begründet eine Gläubigerbenachteiligung. Der feine Unterschied liegt also darin, ob der (neutrale) Dritte ohne vorherige Darlehenszahlung und freiwillig die Gläubiger selbst bezahlt beziehungsweise die Geldmittel auf einem Treuhandkonto/Anderkonto zur Verteilung an die Gläubiger hinterlegt oder dem Schuldner ein Darlehen zusagt beziehungsweise selbst zur Verteilung überlässt. Eine Gläubigerbenachteiligung fällt daher nur weg, wenn die Leistung des Dritten am Schuldnervermögen vorbeigeht.
Bargeschäfte
Bei Bargeschäften im Sinne von § 142 InsO scheidet eine Anfechtung mangels Gläubigerbenachteiligung aus. Unter einem Bargeschäft ist eine Leistung des Schuldners zu verstehen, für die unmittelbar eine gleichwertige Gegenleistung in sein Vermögen gelangt. Bei einem Bargeschäft müssen drei Elemente vorliegen: die Verknüpfung von Leistung und Gegenleistung durch Parteivereinbarung, wie beispielsweise Vertrag, Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung, was einen angemessenen Kaufpreis bedeutet, sowie ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen Leistung und Gegenleistung. Als enger zeitlicher Zusammenhang wird von der Rechtsprechung ein Zeitraum von maximal 30 Tagen angesehen, innerhalb dessen also Lieferung und Zahlung abgewickelt werden müssen. Hintergrund dieser Ausnahmeregelung ist, dass ein in der Krise befindlicher Schuldner die Möglichkeit haben muss, weiterhin am Geschäftsverkehr teilzunehmen. Mit Inkrafttreten der Reform der Insolvenzanfechtung am 5. April 2017 gilt das Bargeschäftsprivileg nunmehr ausdrücklich auch für die Vorsatzanfechtung nach § 133 InsO.
Sorgfältige Prüfung
Es gibt zahlreiche Konstellationen, insbesondere solche mit Beteiligung Dritter, bei denen die Gläubigerbenachteiligung fraglich oder gar nicht gegeben ist. Das Tatbestandsmerkmal der Gläubigerbenachteiligung wird vom Insolvenzverwalter regelmäßig vernachlässigt oder nicht problematisiert. Daher lohnt es sich regelmäßig, die Berechtigung der geltend gemachten Ansprüche zunächst grundlegend zu überprüfen, bevor vorschnell den Behauptungen des Verwalters Glauben geschenkt und zurückgezahlt wird.
Fotos: billnoll, vladwel / Getty Images
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