Künstliche Intelligenz (KI) hält in immer mehr Lebensbereichen Einzug. Auch im Bewerbungsprozess wird KI vermehrt eingesetzt, um die Auswahl zu erleichtern und die Qualität zu steigern. Angst um ihren Job müssen Recruiter aber vorerst nicht haben.

Von der Erstellung einer Stellenanzeige über die Kommunikation via Chatbot bis hin zum Interview: Künstliche Intelligenz wird im Bewerbungsprozess unterschiedlich eingesetzt. Die Recruiter werden unterstützt, indem der Algorithmus bestimmte Aufgaben erledigt. Dennoch zeigt eine im März 2019 durchgeführte Umfrage des Bundesverbands der Personalmanager (BPM), dass nur 16 Prozent der knapp 860 befragten Personaler bereits mit einer KI arbeiten. Und wenn, dann überwiegend im Recruiting.

Die neue Technologie soll die Arbeit erleichtern, Zeit einsparen und sowohl die Effizienz als auch die Anzahl passender Kandidaten erhöhen. Dennoch bleibt die endgültige Entscheidungsmacht nach wie vor beim Personaler, Künstliche Intelligenz wird zur Zeit vor allem als Unterstützung bei der Vorauswahl eingesetzt. In den letzten Jahren ist das Interesse an der Technologie zwar gestiegen, der flächendeckende Einsatz hat sich aber noch nicht durchgesetzt. Die jeweilige Ausprägung des Algorithmus hängt von der Firma und dem genauen Einsatzgebiet ab.

KI ist für viele nicht greifbar

Die Firma Viasto aus Berlin bietet ihren Kunden beispielsweise einen Interview-Generator an, der diese beim Videointerview unterstützt. „Die KI schlägt valide Interviewleitfäden für die jeweilige Positionsanforderung vor. Dadurch werden die geforderten Kompetenzen gezielt abgefragt“, so Sara Lindemann, Head of Customer Success bei Viasto. Denn in einem guten Interview müssen alle wichtigen Fragen in der begrenzten Zeit gestellt werden.

Erfolgreiche Kandidaten macht auch die KI „Adaptive Intelligence Crew“ von Oracle ausfindig. Sie selektiere passende Kandidaten anhand von gewissen Attributen für die Recruiter vor, so Joachim Skura. Er ist Strategy Director Human Capital Management bei Oracle. KI sei unter anderem deshalb hilfreich, weil menschliche Handlungen grundsätzlich fehlerbehafteter seien als die von Computern. Denn die Entscheidungen von Recruitern sind letztendlich subjektiv. Trotzdem sei die individuelle Betreuung durch eine reale Person immer noch sehr wichtig – vielleicht sogar wichtiger denn je. „Deswegen werden die Recruiter bleiben“, ist Skura überzeugt.

Auch die befragten Personaler der BPM-Studie glauben nicht, dass KI das Zwischenmenschliche oder die Entscheidungsmacht in naher Zukunft übernehmen wird. Das momentane Hauptproblem von KI im Bewerbungsprozess ist, dass sich viele Bewerber und Recruiter damit überfordert glauben. Der Begriff ist für die meisten nicht greifbar und dadurch wirkt die Materie komplizierter als sie ist. Diese Angst und Überforderung muss genommen werden. Sara Lindemann von Viasto ist sich aber sicher, dass die Entscheidungen von einer KI in Zukunft stärker akzeptiert werden als gegenwärtig: „In ein paar Jahren wird man gar nicht mehr merken, dass es ein Algorithmus ist.“

„KI ist eine Ergänzung, kein Ersatz“

Auch Bahar Jawadi sieht die Aufklärung über die Möglichkeiten und Grenzen der Technologie als wichtig an. Sie ist Chief Information Officer bei INTEGR8, einer Firma aus Berlin, die sich mit KI und Chatbots beschäftigt. Die richtige Erwartungshaltung sei entscheidend, sagt sie. Den Nutzern müsse von vornherein klar gemacht werden, was KI könne und was nicht. Das gelte auch für die Recruiter. „Ein Algorithmus kann nicht alle Leute unterstützen. Die Erwartungen sind teilweise zu hoch und deswegen sind die Nutzer dann enttäuscht“, erklärt die KI-Expertin.

Das größte Problem sieht Jawadi aber im generellen Umgang mit der neuen Technologie. „Ist ein Anwender zu vorsichtig, kann er nicht das gesamte Potenzial nutzen. Ist er zu euphorisch, kann es passieren, dass er es unkonkret oder unpassend einsetzt“, warnt sie. Deswegen seien eine umfassende Analyse und Aufklärung unumgänglich.

In jedem Fall muss die Angst vor der neuen Technologie genommen werden. Je mehr Erfahrungen mit KI gemacht werden, desto geringer wird sie. Das gilt für beide Seiten. Denn viele Recruiter stehen der neuen Technologie skeptisch gegenüber, weil sie zum ersten Mal am Arbeitsplatz konkret mit KI in Berührung kommen. Das stellt einen großen Stressfaktor dar und ist für die meisten Unternehmen eine Hemmschwelle.

Über 26 Prozent der Befragten gaben in der Studie des BPM an, dass der Einsatz einer KI in der Personalarbeit innerhalb der nächsten drei Jahre für sie nicht in Frage komme. Vor allem bei groß angelegten Stellenanzeigen kann der Algorithmus aber eine Stütze sein. „KI sollte als Ergänzung gesehen werden und nicht als Ersatz“, rät Jawadi. Durch die Technologie könne ein Recruiter die Bewerber besser individuell betreuen. „Die Mitarbeiter werden nicht ersetzt, sondern die Arbeit wird erleichtert“, lautet ihr Fazit.

KI soll keine alleinige Entscheidungsmacht haben

Trotzdem ist Vorsicht geboten. „Riskant wird es dann, wenn bisherige Daten die Basis für die nächsten Entscheidungen sein sollen. Dann steigt zum Beispiel die Gefahr, dass bestimmte Gruppen abgelehnt werden“, erläutert Jawadi. Bei der KI von Amazon ist das zum Beispiel der Fall gewesen. Sie hat Männer bevorzugt, da bei Amazon mehr männliche Angestellte arbeiten als weibliche. Die KI sah das als gewollt an.

Außerdem sei es riskant, dem Algorithmus alle Entscheidungen zu überlassen. Auch Joachim Skura von Oracle bestätigt: „Die letzte Entscheidung muss nach wie vor von einem Menschen getroffen werden. Wir brauchen immer noch die Kontrolle über die KI.“

Momentan wird die neue Technologie im Bewerbungsprozess nur vereinzelt eingesetzt. Oftmals handelt es sich gar nicht um Künstliche Intelligenz, sondern um reine Automatisierung bzw. Digitalisierung. Dennoch birgt das Berufsfeld des Recruiters viele Einsatzmöglichkeiten für KI. Nicht nur im externen Recruiting, sondern auch im unternehmensinternen.

Laut Skura könne der Algorithmus in Zukunft auch Mitarbeiter auf eine passende Rolle im Unternehmen oder in einem Projekt hinsichtlich ihrer Kompetenzen hinweisen, obwohl sie nicht aktiv nach einer neuen Rolle suchen. Man muss also an den richtigen Punkten ansetzen und alle Beteiligten – Bewerber wie Recruiter – umfassend über KI aufklären. Und in einem sind sich Jawadi, Lindemann und Skura sicher: der Recruiter wird in der nächsten Zeit bleiben – vor allem als letzte Entscheidungsinstanz. Er wird nur andere Aufgaben erledigen als bisher.

Autor: Svenja Hörath

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