Das neue elektronische Bürger- und Organisationenpostfach ermöglicht Privatpersonen, Unternehmen sowie Verbänden die elektronische und zugleich rechtssichere Kommunikation mit der Justiz.
Die Kommunikation von Bürgerinnen und Bürgern sowie anderen am Rechtsverkehr Beteiligten soll sich vereinfachen. Ab diesem Jahr besteht für die genannte Gruppe die Möglichkeit, über ein sogenanntes elektronisches Bürger- und Organisationenpostfach (eBO) mit den Gerichten unseres Landes zu kommunizieren. Grundlage hierfür ist ein entsprechendes Bundesgesetz mit der sperrigen Bezeichnung Gesetz zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten und zur Änderung weiterer Vorschriften. Dieses Gesetz wurde am 11. Oktober 2021 im Bundesgesetzblatt verkündet (BGBl. I 2021, S. 4607) und ist – mit wenigen Ausnahmen – zum 1. Januar 2022 in Kraft getreten.
Hintergrund
Wir leben in einer digitalen Welt. Nahezu jeder kann heutzutage Nachrichten, Bilder und andere Medien online versenden, Filme streamen, Bestellungen und Banküberweisungen mit ein paar Klicks tätigen, seinen nächsten Termin beim Arzt oder Physiotherapeuten vereinbaren und vieles mehr. Die seit nunmehr zwei Jahren anhaltende Corona-Krise hat diesen Trend beschleunigt. Schüler kommunizieren per Tablet oder Laptop mit ihrer Schule, an den Universitäten erlangt die sogenannte Online-Lehre immer größere Bedeutung, berufliche Tätigkeiten werden ins Homeoffice verlagert, physisch-reale Zusammenkünfte von Menschen werden vermehrt durch Videokonferenzen und vergleichbare elektronische Formate ersetzt. Mit anderen Worten: Nahezu sämtliche Bereiche unseres täglichen Lebens passen sich dem Wandel von einer analogen zu einer digitalen Welt an.
Auswirkungen der Digitalisierung auf die Justiz
Dieser Trend hat mittlerweile auch den Bereich der Justiz voll ergriffen. Hier ist seit einiger Zeit die Umstellung von herkömmlichen Kommunikationsarten, wie etwa der Schriftform oder dem Grundsatz, dass Gerichtsverhandlungen in Anwesenheit der Parteien im Gerichtssaal stattfinden, auf digitale Formate im Gange. Bereits seit 2002 ist es unter bestimmten Voraussetzungen den Beteiligten eines Rechtsstreits möglich, online an der Gerichtsverhandlung teilzunehmen. Der damit einhergehende strukturelle Wandel zu einem elektronischen Rechtsverkehr (ERV) hat also auch hier Einzug erhalten, wenngleich dieser Prozess in der Öffentlichkeit mitunter als schleppend wahrgenommen wird. Ziel ist, allen am Rechtsverkehr beteiligten Akteuren vom Rechtsanwalt über den Notar bis zu den Parteien eines Rechtsstreits und sonstigen Verfahrensbeteiligten einen digitalen Zugang zu den Gerichten zu verschaffen.
Bisher vom ERV erfasste Akteure
Bisher konnten nur ausgewählte Berufsgruppen und Behörden über ein elektronisches Postfach mit den Gerichten kommunizieren. Die technische Grundlage dafür bildete das sogenannte Elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP), hinter dem sich eine digitale Kommunikationsinfrastruktur für die verschlüsselte Übermittlung von Dokumenten und Akten zwischen berechtigten Teilnehmern verborgen hat. Für die Anwaltschaft wurde hierzu bereits vor einigen Jahren das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) eingeführt. Für die Berufsgruppe der Notare – auch diese stehen in häufigem Kontakt mit den Gerichten – existiert ein Pendant in Form des besonderen elektronischen Notarpostfachs (beN); Behörden und Körperschaften des öffentlichen Rechts steht ein besonderes elektronisches Behördenpostfach (beBPo) für die Kommunikation mit den Gerichten zur Verfügung. Und für die Angehörigen der steuerberatenden Berufe soll ab 2023 das besondere elektronische Steuerberaterpostfach (beSt) verpflichtend eingeführt werden.
Sonstige nicht hinreichend angebunden
Anderen Protagonisten, insbesondere Unternehmen, Verbände und Privatpersonen, war eine virtuelle Kontaktaufnahme zu den Gerichten zwar rein theoretisch bisher schon im Rahmen von elektronischen Signaturen oder De-Mail-Postfächern möglich; die Akzeptanz solcher Online-Zugangsmöglichkeiten war jedoch aufgrund des damit verbundenen hohen technischen Aufwands bislang sehr gering. Hinzu kam der Umstand, dass die Justiz selbst vorerst sicherheitshalber keine Dokumente an die Inhaber von De-Mail-Postfächern übermittelte. Hintergrund war, dass je nach Größe des elektronischen Dokuments in einigen Fällen die Übermittlungskapazitäten für solche Postfächer überschritten wurden und damit eine verlässliche Zustellung im Rahmen des Rechtsverkehrs gefährdet war. Ähnliches galt für Dokumente, die per elektronischer Signatur an die Gerichte versandt wurden. Eine Rückantwort durch das Gericht an den Absender war auf diesem Kommunikationskanal bislang nicht möglich. Deshalb bestand die Notwendigkeit, diesem Nutzerkreis auch eine technisch einfache und zugleich sichere Alternative für die virtuelle Kommunikation mit den Gerichten zu ermöglichen.
eBO schließt bisherige ERV-Lücken
Dies soll nunmehr durch die Einführung des eBO zu Beginn dieses Jahres erreicht werden. Die rechtliche Umsetzung erfolgt durch eine entsprechende Ausweitung des vom ERV umfassten Nutzerkreises im Sinne der Elektronischen-Rechtsverkehr-Verordnung (ERVV) vom 24. November 2017 (BGBl. I 2017, S. 3803); Letztere erhielt ein neues Kapitel 4, in dem in nur vier Paragrafen das neue eBO implementiert wurde. Flankierende Änderungen in den einzelnen Verfahrensordnungen, namentlich Zivilprozessordnung (ZPO), Strafprozessordnung (StPO), Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG), Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG), Sozialgerichtsgesetz (SGG), Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) sowie in anderen Gesetzen, wie etwa Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO), Beurkundungsgesetz (BeurkG) oder Grundbuchordnung (GBO), stellen sicher, dass das eBO überall dort, wo es zum Einsatz kommen soll, abgebildet und als eine weitere zulässige und sichere Form der Kommunikation mit den Gerichten anerkannt wird.
Vom eBO erfasster Nutzerkreis
Der vom eBO erfasste Nutzerkreis ist denkbar groß: Nach § 10 Abs. 1 ERVV in ihrer ab 1. Januar 2022 geltenden Fassung können natürliche und juristische Personen sowie sonstige Vereinigungen künftig über das eBO mit den Gerichten kommunizieren. Erfasst sind somit Bürger, Unternehmen, Verbände und andere Organisationen. Aber auch besondere Verfahrensbeteiligte, die noch nicht dem Kreis der bislang erfassten, professionellen Nutzer des ERV angehörten, kommen hierbei in Betracht; zu denken ist etwa an Gerichtsvollzieher, Betreuer, Sachverständige oder Dolmetscher. Mit Blick auf die besondere Gerichtsbarkeit, wie etwa Arbeits-, Sozial- und Verwaltungsgerichte, gelangen zudem auch spezifische Verbände, so zum Beispiel Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände, Naturschutzorganisationen oder Sozialverbände, in den Kreis der Nutzungsberechtigten.
Wirkungen des eBO
Die Wirkungen des eBO sind denkbar einfach. Wo nach dem Gesetz für die prozessuale Korrespondenz ein Schriftformvorbehalt besteht, kann künftig mittels eBO ersatzweise auch digital kommuniziert werden. Dies betrifft eine Vielzahl von Eingaben, vom Einreichen eines Schriftsatzes über das Stellen von Anträgen bis hin zur Einreichung eines schriftlichen Gutachtens. Zudem gilt dieses Prinzip in beide Richtungen der Kommunikation, nämlich sowohl vom Nutzer des eBO hin zum Gericht als auch umgekehrt.
Keine Nutzungspflicht
Dabei besteht für den vom eBO erfassten Nutzerkreis aktuell auch weiterhin die Freiheit, auf die bisherigen Kommunikationsformen zurückzugreifen. Denn ganz im Gegensatz zu bestimmten Berufsgruppen, wie etwa Rechtsanwälten (ab 01.01.2022) oder Steuerberatern (ab 01.01.2023), besteht aktuell kein Zwang, das eBO gegenüber den Gerichten zu verwenden. Dessen Einrichtung und Benutzung ist also bislang noch freiwillig. Nur für einen begrenzten Anwenderkreis, etwa Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände, tritt eine aktive Nutzungspflicht zum 1. Januar 2026 in Kraft.
Die Einrichtung eines eBO
Für die Einrichtung und spätere Nutzung eines eBO ist zunächst eine identitätsbestätigende Registrierung erforderlich. Hierbei setzt die Bundesregierung auf die Technik SAFE (Secure Access to Federated E-Justice/E-Government) und damit auf ein bestehendes Format, das im Bereich der digitalen Verwaltung bereits zum Einsatz kommt und sich dort bewährt hat. Über dieses Portal ist auf verschiedene Weise und ohne größeren technischen Aufwand eine Identitätsbestätigung möglich. Für Privatpersonen kommt insoweit vor allem eine Bestätigung über den elektronischen Identitätsnachweis (eID) des Personalausweises oder über die eID-Karte in Betracht. Für Unternehmen und Verbände besteht die Möglichkeit einer Identitätsbestätigung über ein qualifiziertes elektronisches Siegel. Bestimmte Berufsgruppen, wie zum Beispiel Gerichtsvollzieher oder Dolmetscher, können sich zudem per Bestätigung der für sie jeweils zuständigen Stelle identifizieren. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, seine Identität etwa über ein Notariat durch öffentlich beglaubigte Erklärung nachzuweisen. Die Nutzung des eBO ist außerdem nur auf der Basis einer von der öffentlichen Hand zugelassenen Software möglich. Damit soll das erforderliche Maß an Sicherheit bei Errichtung und späterer Nutzung des eBO erreicht werden.
Kosten
Auf Privatpersonen kommen für die erstmalige Einrichtung eines eBO grundsätzlich keine Kosten zu, sofern sie über den Personalausweis oder eine eID-Karte erfolgt. Aber auch für Unternehmen und Verbände ist der mit der Implementierung eines eBO verbundene finanzielle Aufwand überschaubar, wenn eine öffentlich beglaubigte Erklärung verwendet wird; hier fallen lediglich geringfügige Beglaubigungskosten an. Erfolgt die Identifizierung über ein qualifiziertes elektronisches Siegel, ist ausweislich der Begründung zum eBO-Regierungsentwurf mit jährlichen Kosten in Höhe eines mittleren dreistelligen Betrags zu rechnen. Außerdem können noch Kosten für die Nutzung der erforderlichen Software hinzukommen.
Fazit
Das eBO ist eine neue Errungenschaft und macht die Justiz noch digitaler. Es ermöglicht Privatpersonen, Unternehmen und Verbänden eine elektronische und zugleich rechtssichere Kommunikation mit den Gerichten. Es stellt eine echte Alternative zu den bislang bekannten Formaten dar, indem es ohne erhöhten technischen und finanziellen Aufwand, dafür aber mit einem hinreichenden Maß an Sicherheit eingerichtet und betrieben werden kann. Die Einführung des eBO ist damit ein großer Schritt in Richtung einer vollständig digitalisierten Justiz.