EU-Recht - 11. Juli 2024

Die Richtlinie über Massenentlassungen gilt auch im Fall des Eintritts des Arbeitgebers in den Ruhestand

EuGH, Pressemitteilung vom 11.07.2024 zum Urteil C-196/23 vom 11.07.2024

Ein Unternehmer trat in den Ruhestand. Dies führte zur Beendigung der 54 Arbeitsverträge in den acht Betrieben seines Unternehmens. Acht Arbeitnehmer fochten die Entlassung an, die sie für rechtswidrig halten. Ihre Klage wurde abgewiesen. Das mit der Berufung befasste spanische Gericht hat über die Wirksamkeit der Beendigungen der Arbeitsverträge zu befinden.

Das spanische Gesetz sieht für den Fall einer Massenentlassung ein Verfahren zur Konsultation der Arbeitnehmervertreter vor. Dieses Verfahren findet allerdings keine Anwendung, wenn die Beendigungen dadurch verursacht wurden, dass der Arbeitgeber, eine natürliche Person, in den Ruhestand tritt. Das spanische Gericht ist unsicher, ob dieser Ausschluss mit der Unionsrichtlinie über Massenentlassungen1 vereinbar ist. Daher hat es den Gerichtshof zu diesem Punkt befragt.

Der Gerichtshof weist zunächst darauf hin, dass das Hauptziel der Richtlinie darin besteht, dass vor Massenentlassungen Konsultationen mit Arbeitnehmervertretern stattfinden und die zuständige Behörde entsprechend unterrichtet wird. Er führt weiter aus, dass nach seiner ständigen Rechtsprechung eine Massenentlassung im Sinne der Richtlinie vorliegt, wenn Beendigungen von Arbeitsverträgen ohne Zustimmung der betroffenen Arbeitnehmer erfolgen.

Daher gelangt der Gerichtshof zu dem Schluss, dass das spanische Gesetz mit der Richtlinie unvereinbar ist. Diese findet nämlich im Fall des Eintritts des Arbeitgebers in den Ruhestand Anwendung, sofern die vorgesehenen Schwellenwerte für Entlassungen erreicht sind2. Er stellt klar, dass dieser Fall nicht mit dem Fall des Todes des Arbeitgebers – für den er zuvor entschieden hatte, dass die Richtlinie keine Anwendung findet3 – gleichgesetzt werden kann, da ein Arbeitgeber, der in den Ruhestand tritt, im Gegensatz zu einem verstorbenen Arbeitgeber grundsätzlich in der Lage ist, Konsultationen durchzuführen, um u. a. die Beendigungen zu vermeiden, ihre Zahl zu verringern oder jedenfalls ihre Folgen abzumildern.

Fußnoten

1 Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20. Juli 1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen.
2 Innerhalb eines Zeitraums von 30 Tagen eine Zahl der Entlassungen von mindestens 10 in Betrieben mit in der Regel mehr als 20 und weniger als 100 Arbeitnehmern; eine Zahl der Entlassungen von mindestens 10 v. H. der Arbeitnehmer in Betrieben mit in der Regel mindestens 100 und weniger als 300 Arbeitnehmern; eine Zahl der Entlassungen von mindestens 30 in Betrieben mit in der Regel mindestens 300 Arbeitnehmern. Innerhalb eines Zeitraums von 90 Tagen eine Zahl der Entlassungen von mindestens 20, und zwar unabhängig davon, wie viele Arbeitnehmer in der Regel in dem betreffenden Betrieb beschäftigt sind. Für die Berechnung der Zahl der Entlassungen werden diesen Entlassungen Beendigungen des Arbeitsvertrags gleichgestellt, die auf Veranlassung des Arbeitgebers und aus einem oder mehreren Gründen, die nicht in der Person der Arbeitnehmer liegen, erfolgen, sofern die Zahl der Entlassungen mindestens fünf beträgt.
3 Urteil des Gerichtshofs vom 10. Dezember 2009, Rodríguez Mayor u. a., C-323/08.

Quelle: Europäischer Gerichtshof