Grundsteuer - 11. September 2024

Grundsteuerreform – Zweifel an der Verfassungskonformität des Bundesmodells

BdSt Rheinland-Pfalz, Mitteilung vom 04.09.2024

Gastbeitrag von Prof. Dr. Gerhard Graf, Vizepräsident des BdSt Rheinland-Pfalz

Das Land Rheinland-Pfalz hat sich für die Reform des Grundsteuerrechts auf das Bundesmodell gestützt. Dieses selbst beruht auf einer Erweiterung des Bewertungsgesetzes, mit der die Wertverhältnisse der land- und forstwirtschaftlichen Vermögen sowie der Grundstücke zum 1. Januar 2022 unter Beachtung des Gleichheitsgebots verfassungskonform abgebildet werden sollen. Das Bundesfassungsgericht hatte nämlich in einer Entscheidung aus dem Jahr 2018 das bis dahin bestehende Grundsteuerrecht als verfassungswidrig verworfen, weil es wegen fehlender neuer Hauptfeststellungen zu Wertverzerrungen zwischen den Grundbesitzobjekten gekommen war.

Das neu gefasste Bewertungsgesetz legt eine Fülle durchaus wirtschaftlich begründbarer Bewertungsbausteine nahe. Dazu zählen der Bodenrichtwert, das Alter der Gebäude, die Kapitalisierung des Reinertrags, die Grundstückgröße etc. um damit schließlich den aktuellen wirtschaftlichen bzw. Marktgegebenheiten Rechnung tragen zu können. Angesichts der millionenfachen Grundbesitzfälle hat das Bundesverfassungsgericht den Finanzverwaltungen für diese Massenveranlagungen zugebilligt, auf Typisierungen und Pauschalierungen zurückgreifen zu dürfen, sodass die Wertermittlung keinesfalls je individuell stattfinden muss.

Problematische Bewertungsvorschriften

Bei der tatsächlichen Umsetzung der neuen Bewertungsvorschriften und damit der Neuermittlung der Grundsteuerwerte haben sich inzwischen jedoch Problembereiche ergeben, die der Verfassungskonformität des neuen Grundsteuerrechts entgegenstehen.

1. Bereits seit Beginn, d. h. seit Anfang 2022, wurde erkennbar, dass die Mitwirkung der Steuerpflichtigen bei den Grundlagenermittlungen nur unvollständig und verzögert war und somit die Fristen für die Abgabe der Grundsteuererklärungen mehrfach verschoben werden mussten. Hierbei spielt natürlich eine Rolle, dass die Zensiten die finanziellen Auswirkungen ihrer Angaben im Unterschied zu Veranlagungsverfahren für andere Steuern nicht hinreichend einschätzen können, zumal kein Vertrauen in die von einigen Politikern versprochene Aufkommensneutralität der Neufassung des Grundsteuerrechts besteht und gegebenenfalls erhebliche Mehrbelastungen für den einzelnen Bürger resultieren können. Das Veranlagungsverfahren hat insoweit Ähnlichkeiten mit dem Erwerb einer schwarzen Katze in einem schwarzen Sack. Dies widerspricht deutlich dem Rechtsstaatprinzip, wonach der Bürger staatliches Handeln nachvollziehen können sollte, insbesondere, wenn dieses mit Eingriffs- und Belastungswirkungen verbunden ist.

2. Für das Bundesmodell gilt wie auch für die alternativen Flächenmodelle die vom Bundesverfassungsgericht vorgegebene Zeitschiene, wonach der 1. Januar 2022 der Zeitpunkt der Hauptfeststellung ist und der Beginn der Anwendung der reformierten Gesetzgebung sowie der entsprechenden neuen Steuerpflicht ab dem Veranlagungsjahr 2025 in Kraft tritt. Das Bewertungsrecht geht dabei von dem tradierten Vorgehen aus und benutzt für die Feststellungen der Werte, z. B. Bodenrichtwert, Mietwert, Zinsen oder Baukosten statische Größen, die sich aus den Erfahrungen des Wirtschaftslebens bis zum Jahr 2021 ergeben haben. Solange man von einer in Deutschland verhaltenen Wirtschafts- und Preisdynamik ausgehen konnte, hatte das gewählte Vorgehen eine scheinbare Rechtfertigung, zumal wenn die vorgesehene, aber keineswegs sichere, neue Hauptfeststellung im Jahr 2029 mit bis dahin aktualisierten wirtschaftlichen Daten für den Grundbesitz tatsächlich realisiert werden sollte. Noch vor dem neuen Hauptfeststellungszeitpunkt 2022 ist jedoch in Deutschland die lange Periode der Preisstabilität und der verhalten positiven Wirtschaftsentwicklung zu Ende gegangen. Eine explodierende Inflation beeinflusst alle Wertansätze im Bewertungsgesetz einschließlich der Höhe und Streuung der Zinsen. Zudem hat die COVID-Pandemie die Wirtschaftsabläufe beeinträchtigt, was sich auch im Bausektor ausgewirkt hat. Außerdem hat der Krieg in der Ukraine viele Nachfrage- und Angebotsbedingungen auf dem deutschen Kapital-, Energie- und Grundstücksmarkt verändert. Schließlich haben die insgesamt erschwerten Wirtschaftsbedingungen über viele Branchen hinweg seit Ende 2022 nicht nur zu steigenden Preisen, sondern auch zu unerwarteten Preisrückgängen gerade am Immobilienmarkt geführt. Die statischen Wertansätze aus den Erfahrungen von vor dem Hauptfeststellungszeitpunkt 2022 sind daher nicht mehr geeignet, zur „Sicherstellung der Gleichmäßigkeit der Besteuerung, insbesondere zur Sicherstellung einer relations- und realitätsgerechten Abbildung der Grundsteuerwerte“ (§ 263 BewG) beizutragen. Insofern ist nicht damit zu rechnen, dass die Werte in den mit den Zahlungspflichten einhergehenden Steuerbescheiden ab 2025 dem Gleichheitsgrundsatz und damit der Verfassungsmäßigkeit entsprechen.

3. Selbst eine relativ zutreffende und relationsgerechte Bewertung nach den Regeln des Bewertungsgesetzes ist nicht in der Lage, die Wertveränderungen nachzuvollziehen, die sich an einem gegebenen Grundbesitzobjekt über die Zeit hineinstellen. Es wird vielmehr immer wieder Grundvermögensobjekte geben, denen von den Eigentümern keine besondere Aufmerksamkeit gewidmet wird und deren Wert absolut und im Verhältnis zu anderen Objekten abnimmt. Gleichfalls kann es bei einer Reihe von anderen Objekten zu aufwendigen Renovierungen bis hin zu Ausbauten kommen, die sich nach der Nomenklatur des Bewertungsgesetzes nicht offenbaren und daher im steuerlichen Grundstückswert unberücksichtigt bleiben. Auch sind im Zusammenhang mit der allgemeinen Wirtschaftsentwicklung sowie der jeweiligen Bauleit- oder Verkehrsplanung Umbewertungen von Grundbesitzobjekten zu erwarten, die Objekte absolut und in ihrer Relation untereinander ihre Werte ändern, was sich aber nicht in den steuerlichen Werten niederschlägt. Die realitätsgerechte Abbildung der Werte versagt daher.

4. Die Grundsteuer knüpft an dem realen Grundbesitz an und versucht, diesen im Rahmen des Bundesmodells mithilfe von Pauschalierungen und Typisierungen wertmäßig zu erfassen. Dieses Vorgehen abstrahiert vollständig von der individuellen Leistungsfähigkeit der Grundstückseigentümer. Die Grundsteuer orientiert sich vielmehr an einem Belastungsmodell, das vor vielen Jahrhunderten zu den Zeiten des Lehenswesens benutzt wurde. Damals vergab die Obrigkeit Grundstücke zum Lehen, d. h. die Grundstücksnutzer hatten das Grundstück nicht als Eigentum, sondern nur zur zeitweiligen Überlassung, wofür dann Abgaben in Form von Realien zu leisten waren. Die Lebens- und Wirtschaftsverhältnisse haben sich jedoch spätestens seit dem 19. Jahrhundert grundlegend geändert. Die Grundstücke stehen im subjektiven Eigentum der Grundstücksnutzer und Abgaben sind nach § 3 Abs. 1 AO in aller Regel Geldleistungen und keine Realabgaben. Die Grundsteuer ist in heutigen Tagen nur als eine spezielle Vermögensteuer zu verstehen, die im Übrigen Vermögensbesitzer völlig unterschiedlich und gleichheitswidrig trifft. Beispielsweise belasten Mietwohnungsgrundstücke über die Weitergabe der Grundsteuerbeträge die Mieter. Die Grundsteuer auf Unternehmensgrundstücke hingegen ist ein Kostenbestandteil und wird sich im Rahmen der Gewinn- und Verlustrechnung gewinnmindernd auswirken. Für Eigenheimbesitzer wirkt die Grundsteuer hauptsächlich als spezielle Vermögensteuer. Als spezielle Vermögensteuer ist die Grundsteuer nun auch Berücksichtigung der weiteren oben genannten Argumente aber keine gleichheitsgerechte Abgabe, sondern ein Konglomerat eher gleichheitswidriger Steuern oder Steuerbestandteile.

5. Mittlerweile gibt es einen weiteren Anlass, die Gleichmäßigkeit der Besteuerung bzw. die Verfassungskonformität der Grundsteuer anzuzweifeln. Die obersten Finanzbehörden der Länder haben koordinierte Erlasse zu den BFH-Beschlüssen vom Mai 2024 (u. a. II B 78/23 (AdV)) vorgelegt. Es geht dabei um den Ansatz eines niedrigeren gemeinen Werts bei der Bewertung des Grundvermögens für Zwecke der Grundsteuer. Danach haben Eigentümer im Einzelfall unter bestimmten Bedingungen die Möglichkeit, einen unter dem festgestellten Grundsteuerwert liegenden gemeinen Wert ihres Grundstücks nachzuweisen. Dieser geringere gemeine Wert wird zurückgeführt auf die Verwendung unzutreffender höherer Bodenrichtwerte seitens der Finanzverwaltung. Die Auswirkungen anderer unzutreffender Wertansätze im Rahmen des Bewertungsverfahrens sind wohl (noch) nicht geprüft oder thematisiert worden. In jedem Fall erscheint die von der Finanzverwaltung in Einzelfällen wohl zu Recht zugelassene Korrekturmöglichkeit für die Grundsteuerwerte gleichwohl als höchst makaber. Betrachtet man nämlich andere Steuerarten wie die Einkommen- oder Umsatzsteuer wird ein Steuerpflichtiger niemals entsprechend große Korrekturen der Steuerschuld erreichen können, wenn die Finanzverwaltung unzutreffenderweise höhere Bemessungsgrundlagen unterstellt. Außerdem gibt es wohl in der Steuerrechtsordnung keinerlei Festlegung, die einen 40-Prozent Abschlag beim Wert bzw. eine AdV-Reduktion in Höhe von 50 % begründen könnte. Sie sind weder durch das Bewertungsgesetz noch durch das Grundsteuergesetz vorgesehen bzw. legitimiert. Diese Abschläge reflektieren lediglich eine willkürliche Handlungsweise der Finanzverwaltung und passen nicht in eine Rechtsstaatsordnung, nach der Steuern nur gemäß dem Legalitätsprinzip erhoben werden können.

Fazit

Insgesamt wäre es an der Zeit, die Grundsteuer ganz generell auf ihre Berechtigung hin zu überprüfen und sich dabei bewusst zu sein, dass ihre Verfassungsmäßigkeit trotz der Modifikationen des Bewertungsgesetzes keinesfalls gegeben ist. Die Grundsteuer komplett abzuschaffen ist keine Unmöglichkeit. Denn es gibt weit bessere sowie weniger bürokratische und streitanfällige Steuermodelle zur Finanzierung der Städte und Gemeinden.

Quelle: Bund der Steuerzahler Rheinland-Pfalz