75 Jahre BFB - 30. Mai 2024

Freiheit als Beruf

Die Freien Berufe liefern einen entscheidenden Beitrag zur deutschen Wirtschaft. Umso wichtiger ist es, die Berufe modern aufzustellen und den vielschichtigen Entwicklungsprozess zukunftsfähig zu gestalten.

Die artes liberales, die freien Künste, bilden den Ursprung des Begriffs der Freien Berufe: „Du siehst, warum die freien Künste so genannt werden: Weil sie eines freien Menschen würdig sind.“ Und der römische Philosoph Seneca zog die logische Verbindung zur Freiheit, weil die Beschäftigung mit den freien Künsten nicht dem Broterwerb dienen musste. Wer sich mit Rhetorik, Arithmetik oder auch Musik befassen konnte, war ein freier, privilegierter Mensch.

Staatsunabhängige Freie Berufe

Die Wurzeln der heutigen Freien Berufe reichen in diese Phase der Antike zurück – auch wenn wir heutzutage mit der Ausübung eines Freien Berufs unseren Lebensunterhalt bestreiten. Spätestens seit dem 19. Jahrhundert definierte sich der Freie Beruf nicht mehr über die Freiheit der Geburt, sondern ausschließlich über die ausgeübte Tätigkeit. Unter dem Einfluss des Liberalismus bildeten sich staatsunabhängige Standesorganisationen, die Anwälte, Ärzte und andere Freie Berufe aus der staatlichen Einflussnahme lösten und eigene Kontrolle über Ordnung und Aufsicht des Berufsstands garantierten. Selbstverwaltung bedeutete Freiheit.
Die Freien Berufe sind über die Jahrhunderte hinweg betrachtet das Ergebnis eines vielschichtigen Entwicklungsprozesses, verbunden mit gesellschaftspolitischen und rechtlichen Wandlungen. Die Tätigkeiten in den Freien Berufen bezogen sich auf das menschliche Wohlergehen sowie ein geordnetes und friedliches Zusammenleben – das Gemeinwohl.

Eigenverantwortlich, fachlich unabhängig

Das macht bis heute die Freien Berufe aus. „Die Freien Berufe haben im Allgemeinen auf der Grundlage besonderer beruflicher Qualifikation oder schöpferischer Begabung die persönliche, eigenverantwortliche und fachlich unabhängige Erbringung von Dienstleistungen höherer Art im Interesse der Auftraggeber und der Allgemeinheit zum Inhalt.“ Diese Definition des Freien Berufs hat die Mitgliederversammlung des Bundesverbands der Freien Berufe (BFB) 1995 verabschiedet. Eine Begriffsbestimmung, die als Legaldefinition unter anderem in das Partnerschaftsgesellschaftsgesetz sowie in die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs Eingang gefunden hat.
Seit nunmehr 75 Jahren engagiert sich der Spitzenverband der Freien Berufe für unterschiedlichste Berufe, die jedoch durch ein gemeinsames Wertefundament – Professionalität, Gemeinwohlorientierung, Selbstkontrolle, Eigenverantwortlichkeit – miteinander verbunden sind. Eine starke Stimme feiert Jubiläum, die stets daran erinnert, dass Freiberuflichkeit kein Selbstzweck ist, sondern gelebter Verbraucher-, Patienten- und Mandantenschutz. Denn die Freien Berufe mit ihren knapp 1,5 Millionen Selbstständigen, mehr als 4 Millionen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten sowie rund 130.000 Auszubildenden stellen eine wichtige Säule der deutschen Wirtschaft dar. Gerade in Zeiten, in denen die Freien Berufe – wieder einmal – mit komplexen Entwicklungen konfrontiert sind. Als Beispiele kommen mir sofort drei Themenfelder in den Kopf: Digitalisierung und Automatisierung, Nachhaltigkeit und Klimaschutz sowie der demografische Wandel. Diese Themen erfordern auch von den Freien Berufen eine hohe Anpassungsflexibilität. Nicht weniger als der gesamte Charakter der Erwerbstätigkeit wandelt sich.

Garant für kompetente Unterstützung

Zugleich können Freie Berufe der Schlüssel für diese Transformation sein. Denn in unserer immer komplexeren Gesellschaft benötigen die Menschen zunehmend kompetente Unterstützung. Die hoch qualifizierten Freiberuflerinnen und Freiberufler helfen, beraten und vertreten neutral und fachlich unabhängig. Für all das brauchen Freie Berufe vor allem eines: Freiberufler – und damit die Fachkräfte von morgen. Diese muss man mit den Mitteln von morgen ansprechen; meine Erfahrung ist es, dass beispielsweise digital gut aufgestellte Steuerberatungskanzleien kein Problem haben, Fachkräfte zu gewinnen. Und selbstverständlich müssen auch schon in der Ausbildung mögliche digitale Rückstände aufgeholt und digitale Ausbildungselemente aufgenommen werden.
So hilft es, dass zum Beispiel die Ausbildung zu Steuerfachangestellten im vergangenen Jahr reformiert und neu geordnet wurde. Auf diese Weise können die kommunikativen Fähigkeiten gestärkt und digitale Prozesse in Kanzleien vermittelt werden. Ein wichtiger Baustein, um in Zeiten zunehmenden Fachkräftemangels das Berufsbild zukunftsfähig zu machen und unseren Berufsstand insgesamt attraktiver und moderner zu gestalten. So können junge Menschen sich gemäß ihren Talenten auf ihren Weg in die Berufs- und Arbeitswelt machen. Und was könnte es Wertvolleres geben, als einen Beruf mit Potenzial zu ergreifen, einen Beruf, der die Freiheit im Namen trägt.

Zum Autor

Prof. Dr. Robert Mayr

Diplom-Kaufmann, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater
CEO der DATEV eG; Die Genossenschaft gehört zu den größten Softwarehäusern und IT-Dienstleistern in Deutschland.
Seine Themen: #DigitaleTransformation, #DigitalLeadership, #Plattformökonomie und #BusinessDevelopment.
Seine These: „Die digitale Transformation ist keine Frage des Könnens, sondern des Wollens“

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