Zivilrecht - 26. August 2024

Alleinhaftung des Auffahrenden bei Zweitunfall

LG Lübeck, Pressemitteilung vom 23.08.2024 zum Urteil 9 O 1/22 vom 29.12.2023 (rkr)

Wer Anzeichen für einen Verkehrsunfall auf der eigene Fahrbahn ignoriert und mit voller Geschwindigkeit auf die Unfallstelle zufährt, kann keinen Schadensersatz wegen einer Kollision verlangen.

Ein Mercedes-Fahrer kollidierte auf der Autobahn mit einem Reh. Sein Fahrzeug verlor hierbei einige Teile auf dem linken Fahrstreifen. Dort blieben auch Teile des Rehkadavers liegen. Mehrere Minuten nach dem Unfall erreichte ein Audi-Fahrer die Erstunfallstelle. Er fuhr auf dem linken Fahrstreifen mit einer Geschwindigkeit von 130 km/h. Dabei bemerkte er eine Person, die 500 Meter vor ihm ohne Warnweste auf seinem Fahrstreifen lief. Auf Höhe dieser Person will der Audi-Fahrer mit Teilen des Reh-Kadavers kollidiert sein, wodurch erhebliche Schäden am Fahrzeug entstanden sein sollen.

Der Audi-Fahrer wollte diesen Schaden vollständig ersetzt bekommen. Die Erstunfallstelle sei bei seinem Eintreffen nicht abgesichert gewesen und er habe seine Geschwindigkeit bis hin zur Vollbremsung reduziert, sobald er die Person auf seinem Fahrstreifen bemerkt habe. Die Versicherung der Eigentümerin des Mercedes lehnte das ab. Darauf versuchte der Audi-Fahrer seinen Anspruch vor dem Landgericht Lübeck gegen die Versicherung und den Mercedes-Fahrer durchzusetzen.

Wie hat das Gericht entschieden?

Das Landgericht hat die Klage des Mannes abgewiesen. Nach Anhörung von Zeugen des Wildunfalls und der Einholung eines Sachverständigengutachtens stand für das Gericht fest, dass die Unfallschilderungen des Klägers in wesentlichen Teilen nicht zutrafen. Zwar konnten die Schäden am Audi mit dem Zusammenstoß mit einem Rehkadaver erklärt werden. Dies aber nur bei einer Geschwindigkeit von etwa 130 km/h. Auch war die Unfallstelle vor dem Eintreffen des Audi-Fahrers nach Aussagen der Zeugen, die das Gericht für glaubhaft gehalten hat, mit einem Warndreieck abgesichert worden.

Nach Ansicht des Gerichts wurde der Zweitunfall damit ganz überwiegend durch den Audi-Fahrer selbst verursacht. Indem er „die ausreichende Absicherungsmaßnahme durch das Warndreieck und die Bedeutung einer betriebsfremden Person auf der Autobahn grob missachtet hat und darauf verzichtet hat, dies zum Anlass zu nehmen, um besonders aufmerksam zu sein, seine Fahrgeschwindigkeit deutlich zu reduzieren und sich bremsbereit zu halten, hat er jegliche Sorgfalt außer Acht gelassen, die in der durch ihn selbst vorgetragenen Ausgangslage erforderlich gewesen wäre, um sich vor Schäden zu bewahren“. Er habe sich schließlich „sehenden Auges ohne sachlichen Grund selbst in Gefahr begeben“. Vor diesem Hintergrund hielt das Gericht eine Haftung des Mercedes-Fahrers und der Versicherung nicht für gerechtfertigt.

Das Urteil vom 29.12.2023 (Aktenzeichen 9 O 1/22) ist rechtskräftig.

Quelle: Landgericht Lübeck