Berufsstand - 9. Juli 2024

Digitalere Justiz: Regierung will digitale Kommunikation mit der Justiz erleichtern

BRAK, Mitteilung vom 09.07.2024

Mit dem Gesetzentwurf zur „weiteren Digitalisierung der Justiz“ kommen die Hybridakte, der digitale Strafantrag und mehr digitale Kommunikation.

Die Bundesregierung hatte am 6. März 2024 den Gesetzentwurf zur „weiteren Digitalisierung der Justiz“ beschlossen.

Für den Gesetzentwurf, durch den 26 Gesetze und Verordnungen geändert werden, stimmten neben den Koalitionsfraktionen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP auch die CDU/CSU-Fraktion.

Das Gesetz führt unter anderem eine Hybridaktenführung in allen Verfahrensordnungen ein. Diese war bislang grundsätzlich nicht erlaubt. So soll der Umstieg auf die – ab 2026 verpflichtende – E-Akte erleichtert werden. Außerdem müssen Verteidiger und Rechtsanwälte in Straf- und Bußgeldsachen künftig mehr Dokumente elektronisch übermitteln als zuvor. Auf Antrag soll es bald möglich sein, dass alle Verfahrensbeteiligten per Zuschaltung in einer Videokonferenz an der strafrechtlichen Revisionshauptverhandlung teilnehmen. Schließlich wird das Identifizierungsverfahren der Steuersoftware Elster im elektronischen Rechtsverkehr beschränkt zugelassen. Der Gesetzentwurf sieht im Detail insbesondere folgende Änderungen vor:

Hybridaktenführung soll Umstieg auf die E-Akte erleichtern

Ab dem 1. Januar 2026 müssen alle neu angelegten Akten in der Justiz elektronisch geführt werden.

Derzeit pilotieren die Länder und der Bund die E-Akte. Akten, die aus elektronischen Teilen und Papierteilen bestehen (sog. Hybridakten), sind bislang grundsätzlich nicht erlaubt. Künftig sollen verschiedene Formen der Hybridaktenführung ermöglicht werden. Diese neue Möglichkeit gilt für geheimhaltungsbedürftige Aktenbestandteile, für noch in Papier begonnene Akten sowie – während der Pilotierungsphase – für elektronisch begonnene Akten. So sollen vor allem bereits angelegte Papierakten elektronisch weitergeführt werden dürfen, um ressourcenintensive Scan-Arbeiten zur Digitalisierung der Altaktenbestände zu vermeiden und einen Umstieg auf die elektronische Akte zu vereinfachen.

Außerdem soll die Pflicht zur elektronischen Übermittlung von Dokumenten für Verteidigerinnen und Verteidiger sowie Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte in Straf- und Bußgeldsachen erweitert werden. Eine Pflicht zur Einreichung als elektronisches Dokument besteht derzeit gem. § 32d Satz 2 StPO nur bei Berufung(sbegründung), Revision(sbegründung) sowie gewissen Erklärungen betreffend die Privat- und Nebenklage. Künftig sollen auch die Rücknahme von Berufung und Revision sowie der Einspruch gegen den Strafbefehl elektronisch eingereicht werden. So sollen Medienbrüche vermieden werden, schließlich arbeiten einige Gerichte und Staatsanwaltschaften bereits heute im Rahmen der Pilotierung mit der E-Akte.

Digitale Strafanträge kommen

Laut Gesetz (§ 158 Abs. 1 Satz 1, 2 StPO) können Strafanzeigen nur mündlich oder schriftlich (also in der Regel mit Unterschrift auf Papier) gestellt werden, Strafanträge bedürfen nach Abs. 2 der Schriftform oder müssen zu Protokoll gegeben werden.

Inzwischen ist aber in der Rechtsprechung anerkannt, dass Strafanzeigen auch per E-Mail oder telefonisch erfolgen können. Bei Strafanträgen ist dies jedoch derzeit nicht möglich. Elektronisch können Strafanträge daher nur übermittelt werden, wenn sie gem. § 32a StPO über einen sog. sicheren Übermittlungsweg gestellt werden – etwa mit einer qualifizierten elektronischen Signatur (vgl. BGH, Beschl. v. 12.05.2022, Az. 5 StR 398/21). Damit ist aktuell insbesondere eine Strafantragstellung per einfacher E-Mail ausgeschlossen.

Künftig soll die Rechtslage hinsichtlich digitaler Strafanzeigen in Gesetzesform gegossen werden. Doch auch Strafanträge sollen telefonisch oder digital, etwa per einfacher E-Mail ermöglicht werden. Allerdings nur, sofern die Identität und der Verfolgungswille der antragstellenden Person aus der Erklärung und den Umständen ihrer Abgabe eindeutig ersichtlich sind. Beispielhaft nennt der Gesetzentwurf folgende Möglichkeiten dafür: Die Behörden stellen Onlineportale bereit, bei denen die Ausweisnummer abgefragt wird, die Behörde kennt die E-Mail-Adresse oder die Stimme der Person am Telefon bereits oder die Behörde bestätigt im Nachhinein die Identität eines digitalen bzw. telefonischen Antrags.

Auch bei anderen Erklärungen im Strafverfahren, wie etwa der Einwilligung in eine DNA-Identitätsfeststellung, soll künftig eine Unterschrift entbehrlich sein, sofern die Strafverfolgungsbehörden die Abgabe dokumentieren. So soll im Zeitalter digitaler Aktenführung ein Ausdrucken und Wiedereinscannen vermieden werden.

Digitale Hauptverhandlung in der strafrechtlichen Revision

An der strafgerichtlichen Hauptverhandlung im Revisionsverfahren sollen künftig Angeklagte, ihre gesetzlichen Vertreterinnen und Vertreter, Verteidigerinnen und Verteidiger sowie die Sitzungsvertretung der Staatsanwaltschaft per Videokonferenz teilnehmen können, wenn sie dies beantragen. Dieselbe Möglichkeit soll u. a. auch für Nebenklägerinnen und Nebenkläger gelten. Dadurch sollen zeit- und ressourcenintensive Anreisen vermieden werden und die Hauptverhandlung flexibler terminiert und durchgeführt werden.

Eine Aufzeichnung der Hauptverhandlung durch die zugeschalteten Verfahrensbeteiligten ist verboten, darauf muss zu Beginn der Verhandlung auch hingewiesen werden.

Nach einer Änderung des Rechtsausschusses soll das Revisionsgericht künftig dazu verpflichtet werden, den Verfahrensbeteiligten mindestens die zentralen Themenkomplexe mitzuteilen, die aus Sicht des Gerichts Gegenstand der Verhandlung sein werden.

Elektronische Kommunikation wird erleichtert

Anträge oder Erklärungen von Mandantinnen und Mandanten sollen von der Anwaltschaft künftig gem. § 32a StPO als Scan an die Gerichte elektronisch übermittelt werden können. Zum elektronischen Einreichen von Schriftsätzen an das Gericht sind Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte zwar bereits seit 2022 verpflichtet. Sofern für eine Erklärung ihrer Mandantinnen und Mandanten allerdings verfahrensrechtlich die Schriftform angeordnet ist, werden sie diese bislang in aller Regel in Papierform eingereicht. Künftig soll es ausreichen, dass ein Rechtsanwalt oder eine Rechtsanwältin beispielsweise den unterschriebenen Insolvenzantrag ihres Mandanten als eingescanntes Dokument an das Gericht übermittelt. Das soll die Kommunikation sowohl für die Anwaltschaft als auch für Mandantinnen und Mandanten erleichtern, schließlich verfügen Privatpersonen in der Regel nicht über eine qualifizierte elektronische Signatur.

Zudem soll insbesondere die Kündigung durch einen elektronischen Schriftsatz (Schriftsatzkündigung) ermöglicht werden. Bislang erfüllen empfangsbedürftige Willenserklärungen, die in elektronisch an das Gericht übermittelten Schriftsätzen enthalten sind, häufig nicht die Anforderungen an materielle Schriftformerfordernisse. Künftig soll die Schriftform als gewahrt gelten, wenn sie in einem Schriftsatz als elektronisches Dokument bei Gericht eingereicht und dem Empfänger übermittelt wird. Nach einer Ergänzung des Rechtsausschusses soll zudem die Zustellung per beA möglich sein.

Auch die digitale Rechnungsstellung von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten soll erleichtert werden. Indem auf eine Unterzeichnung der Berechnung verzichtet wird, sollen Rechnungen – ohne Medienbruch – in Textform elektronisch erstellt und übermittelt werden können.

Zudem soll die Kommunikation von Unternehmen mit der Justiz erleichtert werden. Dazu soll das Organisations-Konto des Unternehmens nach dem Onlinezugangsgesetz (OZG) an das Elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach angebunden werden können. Hierfür soll auch das Identifizierungsverfahren ELSTER zugelassen werden.

Im Insolvenz- und Restrukturierungsrecht werden die Möglichkeiten der elektronischen Kommunikation ebenfalls erweitert. Zudem wird die Unterhaltung eines elektronischen Gläubigerinformationssystems zur Pflicht in allen Insolvenzverfahren.

Stellungnahmen der BRAK

In ihrer aktuellen Stellungnahme zum Regierungsentwurf hatte der Strafrechtsausschuss der BRAK (Strauda) von April 2024 Bedenken gegenüber einigen Aspekten des Regierungsentwurfs geäußert: Besonders kritisiert wurde die Möglichkeit der Versendung eines Strafantrags per E-Mail. Eine Gefahr sei die Versendung über einen fremden E-Mail- bzw. Fake-Account. Vorzugswürdiger erscheine hier die analoge Unterschrift auf einem Formular der Polizei, die einscannt bzw. abfotografiert und per E-Mail oder Fax an die Polizeidienststelle zurückgesendet wird. Auch gewisse Aspekte der digitalen Teilnahme an der Revisionshauptverhandlung erschienen dem Ausschuss verbesserungswürdig – etwa, dass die räumliche Anwesenheit des Verteidigers in Fällen der notwendigen Verteidigung nunmehr nicht mehr zwingend sein soll.

Den Referentenentwurf zum nun beschlossenen Gesetzentwurf hatte Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann im November 2023 vorgelegt. Die BRAK hatte hierzu bereits 2023 eine erste Stellungnahme abgegeben. Darin begrüßte sie ausdrücklich das Ziel des Referentenentwurfs, die Digitalisierung der Justiz in allen Verfahrensordnungen weiter zu fördern. Kritisch sah sie indes die etwa die – wenn auch nur beschränkte – Zulassung des Identifizierungsverfahrens ELSTER im elektronischen Rechtsverkehr. Allgemein kritisierte die BRAK, dass sich der Entwurf in wesentlichen Teilen darauf beschränkte, in der Praxis aufgetretene Probleme der Digitalisierung durch gesetzliche Ausnahmeregelungen zu lösen. Aus Sicht der BRAK wäre es richtiger gewesen, technische Lösungen zu prüfen und Weiterentwicklungen der vorhandenen Systeme bzw. Neuentwicklungen vorzunehmen, um die in der Praxis auftretenden Problemen zu lösen. Hier bleibt auch über das kommende Gesetz hinaus erheblicher Handlungsbedarf.

Quelle: Bundesrechtsanwaltskammer