EU-Recht - 11. September 2024

Draghi-Report zur Zukunft der Wettbewerbsfähigkeit der EU

DATEV Informationsbüro Brüssel, Mitteilung vom 11.0692024

Am 09.09.2024 wurde der sog. Draghi-Report, der im Auftrag der EU-Kommission erstellt wurde, in Brüssel veröffentlicht. Auf ca. 400 Seiten analysiert der ehemalige EZB-Präsident Mario Draghi, wie es um die Wettbewerbsfähigkeit der EU steht und skizziert, was in den nächsten Jahren zu tun ist, um die EU wieder wettbewerbsfähiger zu machen.

Der Bericht wurde in Brüssel lange und mit Spannung erwartet und wird die Agenda der EU-Kommission in den kommenden fünf Jahren stark beeinflussen. In der Vorstellung seines Berichts wählte Mario Draghi drastische Worte und betonte, dass ein radikaler Wandel notwendig sei, um zu verhindern, dass die EU weiter an Wettbewerbsfähigkeit einbüße. Andernfalls drohe der EU ein langsamer Niedergang.

Europa habe die durch das Internet ausgelöste digitale Revolution und die damit verbundenen Produktivitätsgewinne weitgehend verpasst. Zwar sei der Produktivitätsunterschied zwischen der EU und den USA weitgehend auf den Technologiesektor zurückzuführen, dennoch lägen die Probleme der EU tiefer:

EU-Unternehmen skalierten nicht, die EU investiere nicht ausreichend in Forschung und Entwicklung, es gebe zu wenig Wagniskapital, zu viel Bürokratie und ein Qualifikationsdefizit in der gesamten Wirtschaft. Um die Herausforderungen anzugehen, schlägt Draghi ein Bündel an Maßnahmen vor.

Vollendung des EU-Binnenmarktes

Die Vollendung des EU-Binnenmarktes steht weiter oben auf der Agenda. So sollen z. B. Start-ups stärker vom Binnenmarkt profitieren. Deshalb soll ihnen eine neue EU-weite Rechtsform (Innovative European Company) zur Verfügung gestellt werden. Dieses würde den Unternehmen eine einzige digitale Identität geben, die in der gesamten EU gültig wäre. Für Unternehmen gäbe es harmonisierte Rechtsvorschriften im Gesellschaftsrecht und Insolvenzrecht sowie in Teilen des Arbeits- und Steuerrechts (28. Regime).

Reformen in der Politikgestaltung

Auch die EU-Institutionen nimmt Draghi in die Verantwortung. Die EU sollte das Subsidiaritätsprinzip strenger anwenden und sich mit ihrer regulativen Agenda stärker fokussieren, also: Weniger Gesetze dafür aber mit mehr Wirkung. Abstimmungen im Rat, die der qualifizierten Mehrheit unterliegen, sollten auf weitere Bereiche (Steuerrecht) ausgedehnt werden.

Die EU sollte die angekündigte Verringerung der Berichtspflichten um 25 % vollständig umsetzen und sich verpflichten, eine weitere Verringerung für KMU um bis zu 50 % zu erreichen. Darüber hinaus soll eine weitere Unternehmenskategorie der „small mid-caps“ eingeführt werden, die von geringeren Compliance-Anforderungen profitieren soll. Schließlich fordert Draghi die Entwicklung vereinfachter Regeln und eine harmonisierte Umsetzung der DSGVO in den Mitgliedstaaten sowie die Beseitigung regulatorischer Überschneidungen mit dem AI Act. Nur so sei sicherzustellen, dass EU-Unternehmen bei der Entwicklung und Einführung von KI nicht benachteiligt werden.

Des Weiteren wirbt Draghi für eine aktive Wettbewerbs- und Industriepolitik. Es gebe immer mehr Belege dafür, dass industriepolitische Maßnahmen unter bestimmten Umständen wirksam sein können. Um jedoch die Fallstricke der Vergangenheit zu vermeiden – wie z. B. die Verteidigung etablierter Unternehmen – müssten einige Regeln aufgestellt werden. Unter anderem sollte der Schwerpunkt solcher Maßnahmen auf Sektoren und nicht auf Unternehmen liegen. Die EU-Wettbewerbspolitik sollte laut Draghi eine Konsolidierung ermöglichen, wenn eine größere Größe zu Effizienzgewinnen führt oder wenn die europäischen Unternehmen eine ausreichende Größe benötigen, um mit chinesischen und amerikanischen Unternehmen konkurrieren zu können.

Finanzierung

Um die Ziele zu erreichen, seien zusätzliche Investitionen in Höhe von mindestens 750 bis 800 Mrd. Euro pro Jahr erforderlich, was 4,4-4,7 % des BIP der EU im Jahr 2023 entspreche.

Um diese Summe zu stemmen, sei eine gemeinsame Finanzierung notwendig. Darüber hinaus müsse privates Kapital freigesetzt werden, welches durch die Vertiefung der Kapitalmarktunion gelingen könnte. Als erster Schritt sollte hierfür die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde zur einzigen gemeinsamen Regulierungsbehörde für alle EU-Wertpapiermärkte werden.

Bewertung aus Brüssel

Der Draghi-Report beschränkt sich sehr auf die Problembeschreibung. Lösungsvorschläge werden zwar aufgezeigt, bleiben aber meist oberflächlich. Trotzdem hat der Draghi-Report in Brüssel viel Zuspruch erhalten, geht er doch in vielen Bereichen in die richtige Richtung. Dennoch: Viele der von Draghi angesprochenen Handlungsfelder, wie die gemeinsame Verschuldung, sind für einige Akteure rote Linien und daher unrealistisch. Für andere Vorschläge scheint das politische Klima in Brüssel gerade richtig zu sein: Vorschläge zur Entbürokratisierung, zur Einführung einer weiteren Unternehmenskategorie oder auch zu einem 28. Regime sind in der kommenden Legislatur nicht unwahrscheinlich.

Quelle: DATEV eG Informationsbüro Brüssel