EU-Recht - 4. Juli 2024

EuGH zur Kontrolle von Transparenz von Mindestzinssatzklauseln von Hypothekendarlehen

EuGH, Pressemitteilung vom 04.07.2024 zum Urteil C-450/22 vom 04.07.2024

Hypothekendarlehen: Transparenz von Mindestzinssatzklauseln kann im Rahmen einer das gesamte Bankensystem eines Landes betreffenden Verbandsklage kontrolliert werden.

Bei seiner Kontrolle kann das Gericht die Entwicklung der Wahrnehmung des Durchschnittsverbrauchers in Bezug auf diese Klauseln berücksichtigen.

Mindestzinssatzklauseln sind Standardklauseln in Hypothekendarlehensverträgen mit variablem Zinssatz, die von zahlreichen Finanzinstituten in Spanien mit Verbrauchern geschlossen wurden. Mit ihnen wurde ein Mindestsatz festgelegt, unter den der variable Zinssatz nicht absinken durfte, auch wenn der Referenzsatz (in der Regel der Euribor) diesen Mindestsatz unterschritt. In Spanien wurden Tausende von Klagen erhoben, mit denen die Rechtswidrigkeit der Mindestzinssatzklauseln im Hinblick auf die Richtlinie über missbräuchliche Klauseln1 geltend gemacht wurde2.

Der Spanische Verband der Nutzer von Banken, Sparkassen und Versicherungen (ADICAE) hat eine Verbandsklage gegen 101 in Spanien tätige Finanzinstitute erhoben. Diesen soll die Verwendung von Mindestzinssatzklauseln untersagt werden und die Rückzahlung der gemäß diesen Klauseln gezahlten Beträge aufgegeben werden. Nach Aufrufen in den nationalen Medien haben sich 820 Verbraucher der Verbandsklage angeschlossen.

Nachdem die Banken in zwei Rechtszügen unterlagen, haben sie ein Rechtsmittel beim spanischen Obersten Gerichtshof eingelegt. Dieser hegt insbesondere in Anbetracht der großen Zahl beteiligter Verbraucher und Finanzinstitute Zweifel, dass sich ein Verfahren über eine Verbandsklage dafür eignet, die Mindestzinssatzklauseln auf ihre Transparenz hin zu überprüfen, um festzustellen, ob sie missbräuchlich sind. Er hält es in diesen Fällen auch für schwierig, bei der Transparenzkontrolle das Kriterium des „Durchschnittsverbrauchers“ zu verwenden, da die Mindestzinssatzklauseln an verschiedene spezifische Verbrauchergruppen gerichtet seien.

Der Gerichtshof stellt fest, dass nichts in der Richtlinie darauf hindeutet, dass die gerichtliche Transparenzkontrolle im Rahmen einer Verbandsklage ausgeschlossen wäre. Die Kontrolle muss lediglich an die Besonderheiten von Verbandsklagen angepasst werden und sich auf die vertraglichen und vorvertraglichen Standardpraktiken des Gewerbetreibenden gegenüber dem Durchschnittsverbraucher konzentrieren.

Der Gerichtshof weist darauf hin, dass im vorliegenden Fall die erste der beiden Voraussetzungen für die Erhebung einer Verbandsklage gegen mehrere Gewerbetreibende erfüllt ist: Die Klage ist gegen Gewerbetreibende desselben Wirtschaftssektors gerichtet (es handelt sich um Kreditinstitute). Die durch die Komplexität der Rechtssache bedingte organisatorische Herausforderung – die sich aus der beträchtlichen Anzahl von Kreditinstituten und Verbrauchern ergibt – darf die Wirksamkeit der den Verbrauchern durch die Richtlinie zuerkannten subjektiven Rechte nicht beeinträchtigen.

Der Gerichtshof stellt fest, dass auch die zweite Voraussetzung erfüllt zu sein scheint, da die fraglichen Mindestzinssatzklauseln – vorbehaltlich der Überprüfungen durch den spanischen Obersten Gerichtshof – ähnlich zu sein scheinen. Dass die Verträge, in denen die Klauseln enthalten sind, zu verschiedenen Zeitpunkten oder unter der Geltung verschiedener Regelungen geschlossen wurden, kann diese Ähnlichkeit nicht bereits ausschließen.

Sodann hebt der Gerichtshof hervor, dass gerade die Heterogenität der betroffenen Verkehrskreise den Rückgriff auf die Figur des Durchschnittsverbrauchers erforderlich macht, dessen Gesamtwahrnehmung für die Transparenzkontrolle relevant ist. Diese Wahrnehmung kann jedoch eine Entwicklung durchlaufen haben, sodass der spanische Oberste Gerichtshof prüfen muss, ob der die 2000er Jahre kennzeichnende Zusammenbruch der Zinssätze oder die Verkündung seines Urteils vom 9. Mai 2013, mit dem die fehlende Transparenz der Mindestzinssatzklauseln festgestellt wurde, im Lauf der Zeit eine Änderung des Aufmerksamkeitsgrads und des Informationsstands des Durchschnittsverbrauchers zum Zeitpunkt des Abschlusses eines Hypothekendarlehensvertrags zur Folge haben konnte.

Fußnoten

1 Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen.
2 In einem Urteil vom 9. Mai 2013 entschied der spanische Oberste Gerichtshof in einem Verfahren über die Verbandsklage eines Verbraucherverbands gegen mehrere Banken, dass die geprüften Mindestzinssatzklauseln nicht transparent seien, weil die Verbraucher nicht ordnungsgemäß über ihre rechtlichen und finanziellen Folgen informiert worden seien. Die Klauseln wurden für nichtig erklärt. In Anbetracht der mit einer rückwirkenden Restitution von Überzahlungen verbundenen schwerwiegenden wirtschaftlichen Folgen für den Bankensektor beschränkte der Oberste Gerichtshof die zeitliche Wirkung der Nichtigerklärung jedoch auf Überzahlungen, die nach der Verkündung seines Urteils geleistet wurden. Diese Beschränkung verstieß nach Auffassung des Gerichtshofs allerdings gegen die Richtlinie (vgl. Urteil des Gerichtshofs vom 21. Dezember 2016, Gutiérrez Naranjo u. a., verbundene Rechtssachen C-154/15, C-307/15 und C-308/15; vgl. auch Pressemitteilung Nr. 144/16).

Quelle: Europäischer Gerichtshof