EU-Recht - 1. August 2024

Jahrelanger Informationsaustausch zwischen Kreditinstituten könnte bezweckte Wettbewerbsbeschränkung darstellen

EuGH, Pressemitteilung vom 29.07.2024 zum Urteil C-298/22 vom 29.07.2024

Der mehr als zehn Jahre andauernde Informationsaustausch zwischen 14 Kreditinstituten in Portugal könnte eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung darstellen.

Die Entscheidung, ob dies der Fall ist, ist letztlich Sache des portugiesischen Gerichts für Wettbewerbssachen.

Im September 2019 verhängte die portugiesische Wettbewerbsbehörde (Autoridade da Concorrência, im Folgenden: AdC) gegen 14 Kreditinstitute (darunter die sechs größten in Portugal)1 eine Geldbuße in Höhe von insgesamt 225 Mio. Euro. Die AdC war der Auffassung, dass diese Kreditinstitute von 2002 bis 2013 durch ihre Beteiligung an einem mehr als zehn Jahre lang andauernden vertieften monatlichen Austausch von sensiblen Informationen auf Gegenseitigkeitsbasis gegen das nationale Wettbewerbsrecht und das EU-Wettbewerbsrecht verstoßen hätten. Die ausgetauschten Informationen betrafen die Märkte für Hypothekenkredite, für Verbraucherkredite und für Unternehmenskredite. Sie bezogen sich auf bestimmte aktuelle und künftige Geschäftsbedingungen, insbesondere Kreditaufschläge und Risikoparameter, sowie die individualisierten Produktionszahlen der Beteiligten an diesem Austausch.2

Dieser Informationsaustausch wurde als „autonomer“ Informationsaustausch angesehen, da die AdC nicht behauptete, dass er im Zusammenhang mit einer wettbewerbsbeschränkenden abgestimmten Verhaltensweise stehe, etwa einer Preisabsprache oder einer Marktaufteilung. Die AdC ging dennoch davon aus, dass er eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung darstelle. Nach Ansicht dieser Behörde entbindet sie das Ausmaß dieser abgestimmten Verhaltensweise davon, ihre eventuellen Auswirkungen auf die betroffenen Märkte zu untersuchen, um zu dem Ergebnis zu gelangen, dass die Verhaltensweise gegen das Wettbewerbsrecht verstößt.

Die Mehrzahl der beteiligten Kreditinstitute3 erhob gegen die Entscheidung der AdC Klage vor dem portugiesischen Gericht für Wettbewerbssachen. Nach ihrem Vorbringen ist der in Rede stehende Informationsaustausch nicht per se als hinreichend wettbewerbsschädlich anzusehen, um als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung eingestuft werden zu können. Es sei daher erforderlich, dessen Auswirkungen zu prüfen. Außerdem hätte die AdC jedenfalls den wirtschaftlichen, rechtlichen und regulatorischen Zusammenhang dieses Austauschs berücksichtigen müssen.

Das portugiesische Gericht fragt den Gerichtshof, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Informationsaustausch als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung eingestuft werden kann.

Der Gerichtshof stellt fest, dass ein autonomer Informationsaustausch zwischen Wettbewerbern eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung darstellen kann. Es genügt, wenn dieser Austausch eine Form der Koordinierung darstellt, die im Zusammenhang mit dem Austausch an sich als schädlich für das gute Funktionieren des normalen Wettbewerbs anzusehen ist. Damit ein Markt unter normalen Bedingungen funktioniert, müssen Marktteilnehmer selbstständig bestimmen, welche Politik sie betreiben wollen, und hinsichtlich des künftigen Verhaltens der anderen Teilnehmer im Ungewissen bleiben. Folglich kann ein Informationsaustausch, wenn er es ermöglicht, eine solche Ungewissheit zu beseitigen, als eine als bezweckte Beschränkung einzustufende Form der Koordinierung angesehen werden. So liegt der Fall, wenn die ausgetauschten Informationen in dem Sinne vertraulich und strategisch sind, dass sie geeignet sind, das künftige Verhalten eines Wettbewerbers auf den betreffenden Märkten offenzulegen.4 Dies kommt hier in Betracht.5 Denn aus der Darstellung des in Rede stehenden Sachverhalts durch das portugiesische Gericht scheint hervorzugehen, dass die ausgetauschten Informationen u. a. die Absichten der Beteiligten an dem Austausch hinsichtlich künftiger Änderungen der Kreditaufschläge betrafen. Sollte dies zutreffen, könnte ferner mit einem solchen Austausch, da die Kreditaufschläge zu den Parametern gehören, anhand deren der Wettbewerb auf einem Markt entsteht, kein anderes Ziel verfolgt werden als die Verfälschung des Wettbewerbs. Es ist jedoch Sache des portugiesischen Gerichts, die erforderlichen Tatsachenwürdigungen vorzunehmen, um festzustellen zu können, ob der in Rede stehende Austausch tatsächlich eine bezweckte Beschränkung darstellt.

Fußnoten

1 Banco BPN/BIC Português; Niederlassung Portugal der Banco Bilbao Vizcaya Argentaria (BBVA); Banco Comercial Português (BCP); Banco Português de Investimento (BPI); Banco Espírito Santo (BES), in Liquidation; Banco Internacional do Funchal (BANIF); Banco Santander Totta (für eigenes Handeln und das Handeln der Banco Popular); Barclays Bank; Caixa Económica Montepio Geral – Caixa Económica Bancária (Montepio); Caixa Geral de Depósitos (CGD); Caixa Central de Crédito Agrícola Mútuo (CCCAM); Deutsche Bank und Niederlassung Portugal der Unión de Créditos Inmobiliarios (UCI). Von den sechs größten Kreditinstituten in Portugal sollen im Jahr 2013 83 % aller Bankaktiva des gesamten portugiesischen Bankensektors verwaltet worden sein.
2 Unter Kreditaufschlag ist der Unterschied zwischen dem von einem Kreditinstitut auf einen Kreditnehmer angewandten Zinssatz und dem Zinssatz zu verstehen, zu dem es sich im Prinzip refinanziert. Die Risikoparameter werden herangezogen, um jeder Risikoklasse für Kunden, die anhand von Faktoren wie den Einkünften, dem Finanzierungsbeitrag oder den Kosten der Immobilie der betreffenden Kunden bestimmt wird, zum Ausgleich dieses Risikos einen Kreditaufschlag zuzuweisen. Unter Produktionsmengen sind die individualisierten Kennzahlen der einzelnen beteiligten Kreditinstitute über die Höhe der im Lauf des Vormonats gewährten Kredite zu verstehen. Diese Daten wurden in aufgeschlüsselter Form, d. h. in detaillierte Unterkategorien aufgeteilt, kommuniziert und standen weder zum Zeitpunkt des Austauschs noch danach über eine andere Quelle in dieser Form zur Verfügung.
3 Alle außer BANIF und Deutsche Bank. Im Juni 2017 wurde Banco Popular von Banco Santander aufgekauft.
4 Unter vertrauliche Informationen sind solche Informationen zu verstehen, die nicht bereits jedem auf dem betreffenden Markt tätigen Wirtschaftsteilnehmer bekannt sind. Unter strategische Informationen sind solche Informationen zu verstehen, die gegebenenfalls, nachdem sie mit anderen den Beteiligten an einem Informationsaustausch bereits bekannten Informationen kombiniert wurden, Aufschluss über die Strategie geben können, die einige der Beteiligten im Hinblick auf einen oder mehrere Parameter, anhand deren Wettbewerb auf dem relevanten Markt entsteht, umzusetzen beabsichtigen. Das portugiesische Gericht stellt fest, dass der in Rede stehende Austausch nicht öffentliche oder schwer zugängliche bzw. systematisierbare strategische Informationen betroffen habe. Die ausgetauschten Informationen unterschieden sich nämlich von den Informationen, die den Verbrauchern von den Kreditinstituten zur Verfügung zu stellen seien. Diese Informationen seien außerdem in aufgeschlüsselter und individualisierter Form ausgetauscht worden und hätten gegenwärtige oder künftige Verhaltensweisen betroffen (insbesondere die Absichten, das strategische Verhalten in naher Zukunft zu ändern, bzw. die gültigen Geschäftsbedingungen).
5 Es handelt sich dabei zunächst um Informationen über die Kreditaufschläge. Diese Kreditaufschläge betreffen einen der Parameter, anhand deren Wettbewerb auf den drei in Rede stehenden Märkten (für Hypothekenkredite, für Verbraucherkredite und für Unternehmenskredite) entsteht, sodass alle Informationen über die künftigen Absichten der Kreditinstitute, diese Aufschläge zu ändern, strategische Informationen darstellen. Das Gleiche gilt für die Informationen über künftige Änderungen der Risikoparameter, die auf die je nach individuellem Risikoprofil der Kunden praktizierten Kreditaufschläge angewandt werden. Jene Informationen sind nämlich in Kombination mit den Informationen über die künftigen Absichten der Kreditinstitute geeignet, den Beteiligten am Austausch ein genaueres Bild über die Preisgestaltungsstrategien zu verschaffen, die die anderen Beteiligten umzusetzen beabsichtigen. Zu den Informationen über die Produktionsmengen stellt der Gerichtshof fest, dass solche Informationen mit anderen ausgetauschten oder frei verfügbaren Informationen kombiniert werden können, um hieraus die künftigen Absichten der Beteiligten an dem Austausch abzuleiten oder sich in Bezug auf einen der Parameter, anhand deren Wettbewerb auf diesen Märkten entsteht, in gleicher Weise zu verhalten.

Quelle: Europäischer Gerichtshof