Einkommensteuer - 20. August 2024

Einnahmen aus Insolvenzanfechtung als nachträgliche Betriebseinnahmen?

FG Baden-Württemberg, Mitteilung vom 20.08.2024 zum Urteil 8 K 1180/21 vom 28.11.2023 (nrkr - BFH-Az.: X R 4/24)

  1. Im Anwendungsbereich des § 16 EStG führt die zivilrechtliche Rückabwicklung nach §§ 143, 144 Insolvenzordnung vor Betriebsaufgabe geleisteter Zahlungen des Betriebsinhabers an Insolvenzgläubiger stets zur steuerlichen Rückwirkung auf den Zeitpunkt der Betriebsaufgabe.
  2. Die Rückflüsse aus der Insolvenzanfechtung sind im Zeitpunkt des Zuflusses keine steuerbaren nachträglichen Betriebseinnahmen.

Sachverhalt

Der Kläger war Insolvenzverwalter über das Vermögen des Insolvenzschuldners A. Dieser betrieb vor Insolvenzeröffnung Restaurants und ermittelte seine Einkünfte aus Gewerbebetrieb durch Einnahmenüberschussrechnung. Im November 2015 stellte A die Betriebe ein, meldete sein Gewerbe ab und veräußerte sämtliches Inventar an Dritte.

Der Kläger focht nach §§ 143 f. Insolvenzordnung (InsO) mehrere, vor Betriebsaufgabe geleistete Zahlungen des Insolvenzschuldners an Gläubiger, insbesondere Zahlungen an das beklagte Finanzamt und die Krankenkasse, an. Rückzahlungen der Anfechtungsgegner flossen der Masse im Streitjahr 2016 i. H. v. 12.349,50 Euro und im Streitjahr 2018 i. H. v. (jedenfalls) 181.622 Euro zu.

In den an den Kläger als Insolvenzverwalter über das Vermögen des Insolvenzschuldners adressierten Einkommensteuerbescheiden 2016 und 2018 behandelte das beklagte Finanzamt die Einnahmen aus der Insolvenzanfechtung jeweils als nachträgliche Betriebseinnahmen und ermittelte für das Streitjahr 2016 einen Gewinn aus Gewerbebetrieb von 12.458 Euro und für das Streitjahr 2018 von 177.531 Euro. Die darauf entfallende anteilige Einkommensteuer machte das Finanzamt als Masseverbindlichkeit gegen den Kläger geltend. Dieser erhob nach erfolglosem Einspruch erfolgreich Klage.

Das Finanzgericht führte im Wesentlichen aus:

Das Finanzamt hat die Zuflüsse aus den Insolvenzanfechtungen zu Unrecht als nachträgliche Betriebseinnahmen in den Streitjahren 2016 und 2018 erfasst.

Rückwirkung der Insolvenzanfechtung auf den Zeitpunkt der Betriebsaufgabe

Der Insolvenzschuldner hat im November 2015 seinen Gewerbebetrieb nach § 16 Abs. 3 Satz 1 Einkommensteuergesetz (EStG) aufgegeben. Die Insolvenzanfechtungen wirken auf den Zeitpunkt der Betriebsaufgabe im Jahr 2015 zurück. Die Zuflüsse aus der Insolvenzanfechtung stellen daher keine nachträglichen Betriebseinnahmen in den Streitjahren dar.

Rückwirkung im Bereich der Betriebsaufgabe nach § 16 EStG

Bei der laufend veranlagten Einkommensteuer sind die auf Grund des Eintritts neuer Ereignisse materiell-rechtlich erforderlichen steuerlichen Anpassungen regelmäßig nicht rückwirkend, sondern in dem Besteuerungszeitraum vorzunehmen, in dem sich der maßgebende Sachverhalt ändert. Dieser Grundsatz gilt jedoch nur, soweit die einschlägigen steuerrechtlichen Regelungen nicht bestimmen, dass eine Änderung des nach dem Steuertatbestand rechtserheblichen Sachverhalts zu einer rückwirkenden Änderung steuerlicher Rechtsfolgen führt. Eine solche Rechtslage ist insbesondere bei Steuertatbeständen gegeben, die an einen einmaligen Vorgang anknüpfen und bei denen nachträgliche Änderungen nicht in einer Folgebilanz oder nach den Grundsätzen des Zuflussprinzips in einem späteren Veranlagungszeitraum berücksichtigt werden können.

Um einen solchen Steuertatbestand, der an einen einmaligen Vorgang anknüpft, handelt es sich bei der Veräußerung eines Gewerbebetriebs. Nachträgliche Änderungen des Veräußerungspreises wirken materiell-rechtlich auf den Zeitpunkt der Veräußerung zurück. Dasselbe gilt hinsichtlich der für die Ermittlung des Veräußerungsgewinns maßgeblichen Höhe des Betriebsvermögens. Ergibt sich auf Grund von Umständen, die nach der Veräußerung neu hinzutreten, dass der der Besteuerung zu Grunde gelegte Wert des Betriebsvermögens zu hoch oder zu niedrig ist, so ist dieser Wert mit Wirkung auf den Zeitpunkt der Veräußerung zu berücksichtigen. Diese Rechtsgrundsätze gelten auch bei einer Betriebsaufgabe nach § 16 Abs. 3 EStG.

Nachträgliche Betriebseinnahmen nach Betriebsaufgabe nach § 24 Nr. 2 EStG im Jahr des Zuflusses.

Die während und nach der Aufgabe anfallenden normalen Geschäfte und ihre Abwicklung sind laufende Einnahmen. Sie berühren nicht den begünstigten Aufgabegewinn. Nicht begünstigte Veräußerungs- oder Aufgabegewinne sollen Gewinne sein, die wirtschaftlich durch Vorgänge vor der Betriebsveräußerung veranlasst sind, z. B. wenn sie auf vorher abgeschlossenen Kaufverträgen beruhen und die Lieferung lediglich die Erfüllung der vorher begründeten schuldrechtlichen Verpflichtung darstellt.

Anwendung dieser Grundsätze auf die Rückabwicklung nach §§ 143 f. InsO

Nach diesen Grundsätzen wirkt die zivilrechtliche Rückabwicklung nach §§ 143 f. InsO vor Betriebsaufgabe geleisteter Zahlungen des Betriebsinhabers an Insolvenzgläubiger auf den Zeitpunkt der Betriebsaufgabe zurück; auch im – hier vorliegenden – Fall der bereits vor der Insolvenzeröffnung beendeten Betriebsaufgabe. Die Rückflüsse aus der Insolvenzanfechtung stellen keine im Zeitpunkt des Zuflusses steuerbaren nachträglichen Betriebseinnahmen dar.

Vergleichbarkeit mit den bereits entschiedenen Fällen zu § 16 EStG

Diese insolvenzrechtliche Rückabwicklung unterscheidet sich lediglich im Rechtsgrund von den vom BFH bereits entschiedenen Fällen einer steuerlichen Rückwirkung auf den Zeitpunkt der Betriebsveräußerung oder -aufgabe (Erlass, Vergleich, Urteil), nicht aber in den für das Steuerrecht maßgeblichen Rechtsfolgen. Durch die insolvenzrechtliche Rückabwicklung werden Betriebsausgaben rückgängig gemacht. Durch die Rückforderung und spätere Rückzahlung erhöht sich das Aktivvermögen. Außerdem lebt die ursprünglich durch Zahlung untergegangene Verbindlichkeit wieder auf. Mangels einer Folgebilanz können diese Änderungen nur rückwirkend in der nach § 16 Abs. 2 Satz 2 EStG erstellten Bilanz (im Folgenden nur Aufgabebilanz) berücksichtigt werden. Denn mit der Betriebsaufgabe endet die Existenz des Gewerbebetriebs, so dass bilanzielle Änderungen zwingend in der Aufgabebilanz vollzogen werden müssen.

Es ist unerheblich, dass die Ansprüche erst nach Insolvenzeröffnung vom Insolvenzverwalter begründet wurden.

Für die steuerliche Rückwirkung auf den Veräußerungs- oder Aufgabezeitpunkt i. S. des § 16 EStG kommt es nicht darauf an, welche Gründe rechtlicher oder tatsächlicher Art zu der rückwirkenden Sachverhaltsänderung geführt haben; insbesondere ist es unerheblich, ob diese „im Kern“ bereits im ursprünglichen Rechtsgeschäft angelegt waren.

Unerheblich ist deshalb, dass die Rückabwicklung vorliegend auf einer insolvenzrechtlichen Anspruchsgrundlage beruht und dass die Anfechtungsansprüche vom Insolvenzverwalter (naturgemäß) erst nach Insolvenzeröffnung geltend gemacht werden und diese im Zeitpunkt der Betriebsaufgabe vom Anfechtungsgegner noch nicht anerkannt waren. Zwar ist dem Finanzamt zuzustimmen, dass die Rückforderungen aus der Insolvenzanfechtung im Zeitpunkt der Betriebsaufgabe im November 2015, wenn überhaupt schon entstanden, noch ungewiss und damit nicht bilanzierungsfähig waren. Auf Grund der steuerlichen Rückwirkung im Anwendungsbereich des § 16 EStG erfolgt aber gerade keine ex-ante-, sondern eine ex-post-Betrachtung. Nicht der Bilanzstichtag oder der Zeitpunkt der Bilanzerstellung sind maßgebend, sondern der Zeitpunkt des Eintritts des rückwirkenden Ereignisses.

Schließlich ist unerheblich, dass die Anfechtungsansprüche maßgeblich auf einer Handlung des Insolvenzverwalters beruhen. Zum einen könnte dies ausschließlich für die Einordnung der daraus resultierenden Steuerverbindlichkeiten als Masseverbindlichkeit gem. § 55 Abs. 1 InsO oder als Insolvenzforderung gem. § 38 InsO und damit für die Frage, ob und gegen wen die Steuer festgesetzt werden kann, maßgeblich sein. Zum anderen richtet sich die Beurteilung, ob und wann ein Besteuerungstatbestand nach seiner Art und Höhe tatbestandlich verwirklicht wird, auch im Anschluss an die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausschließlich nach steuerrechtlichen Grundsätzen. Die Frage, ob ein auf den Aufgabezeitpunkt rückwirkender Sachverhalt oder nicht begünstigte laufende Einkünfte vorliegen, ist somit unabhängig von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach Sinn und Zweck des § 16 EStG zu beurteilen. Ob die Betriebsaufgabe vor oder nach Insolvenzeröffnung erfolgte, ist dabei unerheblich.

Die gegenteilige Auffassung des Sächsischen FG im Beschluss vom 03.08.2020 1 V 1497/19 lehnt das FG Baden-Württemberg mit Verweis auf die materiell-rechtliche Rückwirkung nach § 16 EStG ab.

Die Betriebsveräußerung und die Betriebsaufgabe sind nicht laufende, sondern punktuelle Ereignisse, die ohne Weiteres im Kalenderjahr der Veräußerung bzw. Aufgabe besteuert werden. Für die Gewinnermittlung nach § 16 EStG gelten nicht die Grundsätze zur periodengerechten Gewinnermittlung. Davon abgesehen ist die mangelnde steuerliche Auswirkung auf den Betriebsaufgabegewinn im Fall der Insolvenzanfechtung das Ergebnis zweier gegenläufiger materiell-rechtlicher Rückwirkungen (Bilanzierung sowohl der Aktivmehrung als auch der Verbindlichkeit), setzt also bezüglich beider Bilanzposten die materiell-rechtliche Rückwirkung voraus.

Keine nachträglichen Betriebseinnahmen

Es liegen nicht ausnahmsweise nachträgliche Betriebseinnahmen i. S. von § 24 Nr. 2 EStG vor. Es handelt sich nicht um Einnahmen aus „normalen Geschäften“, die wirtschaftlich durch Vorgänge vor der Betriebsveräußerung veranlasst sind. Die zivilrechtliche Rückabwicklung vor Betriebsaufgabe vorgenommener Rechtsgeschäfte führt im Anwendungsbereich des § 16 EStG stets zur steuerlichen Rückwirkung auf den Zeitpunkt der Betriebsaufgabe.

Quelle: Finanzgericht Baden-Württemberg, Newsletter 1/2024