Bürokratieabbau - 30. Mai 2024

Last loswerden

Unternehmen leiden seit Längerem unter der stark gestiegenen Bürokratiebelastung, die sich auch auf der Kostenseite negativ auswirkt. Daher sollte bei Regulierungsmaßnahmen ein Paradigmenwechsel erfolgen – weg vom Kontrollgedanken, hin zu mehr Praxistauglichkeit und Verhältnismäßigkeit der Rechtsvorschriften.

Volkswirtschaften, aber auch Unternehmen, benötigen zur Sicherstellung ihrer Funktionsfähigkeit regulatorische Vorgaben. Bürokratie – verstanden als staatliche Regulierung inklusive der Informationspflichten – soll dazu dienen, Rechts- und Planungssicherheit zu gewährleisten und Korruption zu verhindern. Seit vielen Jahren lassen Umfragen und wissenschaftliche Studien den Schluss zu, dass ein – empirisch schwer zu bestimmendes – optimales Ausmaß von Bürokratie weit überschritten ist. Eine kürzlich erschienene Studie des Instituts für Mittelstandsforschung (IfM) Bonn (Holz/Icks/Nielen 2023) analysierte Ursachen, Ausmaß und Folgen der Bürokratiebelastung. Basierend auf den Ergebnissen einer repräsentativen Befragung von Unternehmen, einer Literaturanalyse sowie eines internationalen Good-Practice-Vergleichs wurde zudem ein spezifischer Aktionsplan entwickelt, der aufzeigt, wie ein spürbarer Bürokratieabbau systematisch und ganzheitlich erreicht werden kann.

Belastungsfaktor Bürokratie

Wenngleich die Politik seit 2006 ein relativ umfangreiches Instrumentarium an Institutionen, Maßnahmen und Verfahren zum Bürokratieabbau aufgebaut hat, nehmen nahezu alle Unternehmen einen Anstieg an Bürokratiebelastung wahr. Die große Mehrheit der Unternehmen sieht sich vom Gesetzgeber übermäßig kontrolliert und wünscht sich mehr Vertrauen und Gestaltungsfreiräume. Darüber hinaus kritisieren die Unternehmen oft die mangelnde Verhältnismäßigkeit, Sinnhaftigkeit und Praxistauglichkeit vieler Regelungsinhalte. Ein beträchtlicher Teil der Unternehmen praktiziert daher sogar einen autonomen Bürokratieabbau und befolgt einzelne Vorschriften bewusst nicht. Der Gesetzgeber hat nun reagiert und will mit dem Vierten Bürokratieentlastungsgesetz (BEG IV) dieser Entwicklung entgegenwirken.

Umfang der Bürokratiebelastung

Die Belastungen durch Bürokratie gehen aus Sicht der Unternehmen deutlich über den vom Statistischen Bundesamt gemessenen Zeit- und Kostenaufwand hinaus. Mindestens gleiche, wenn nicht sogar höhere Bedeutung kommt verschiedenen Faktoren wie psychologischen Kosten, Opportunitätskosten sowie den Folgewirkungen auf Investitionen und Wettbewerbsfähigkeit zu. Bei mehr als der Hälfte der Unternehmen hat Bürokratie die Umsetzung von Projekten – etwa durch langwierige Planungs-und Genehmigungsverfahren – erschwert und verzögert. Mehr als vier von zehn Unternehmen haben auf Investitionen in Deutschland verzichtet. Zukünftig erwartet fast die Hälfte aller Unternehmen eine Beeinträchtigung ihrer Wettbewerbsfähigkeit infolge überbordender Bürokratie. Rund 18 Prozent – und damit dreimal so viele wie in den vergangenen fünf Jahren – erwägen, Investitionen vermehrt im Ausland vorzunehmen. Besonders bedenklich ist es, dass mehr als drei Viertel der Unternehmerinnen und Unternehmer durch die Bürokratiebelastung ihre Freude an unternehmerischen Tätigkeiten verlieren. Wird diesem Negativtrend nicht mit wirksamen Maßnahmen begegnet, besteht die Gefahr, dass die realwirtschaftlichen und atmosphärischen Auswirkungen nicht nur auf individueller Unternehmensebene, sondern auch gesamtwirtschaftlich zunehmend spürbar werden – etwa mit Blick auf die Beschäftigungs-, Innovations- oder Investitionsentwicklung und auch die Gründungsdynamik.

Bürokratie ganzheitlich abbauen

Wie können nun aber eine Trendumkehr und eine spürbare Entlastung für die Unternehmen erzielt werden? Bürokratieabbau und bessere Rechtsetzung sind komplexe, ganzheitliche Aufgaben, bei denen eine Vielzahl von Staats- und Verwaltungsebenen, Institutionen und Akteuren in allen Phasen des Regulierungskreislaufs sowie unter der Nebenbedingung eines raschen Wandels der Umweltfaktoren zusammenarbeiten müssen.
Um eine spürbare Reduzierung der Belastung für die Unternehmen zu erreichen, muss ein Rechtsrahmen bereitgestellt werden, der Innovation, Wachstum und gesellschaftlichen Wohlstand ermöglicht. Dabei reicht es aber nicht aus, punktuell und auf Ad-hoc-Basis einzelne Verbesserungen zu erzielen. Vielmehr müssen im Sinne eines Paradigmenwechsels im gesamten Regulierungskreislauf systematisch die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, damit eine übermäßige Bürokratie gar nicht erst entsteht, beziehungsweise Maßnahmen umgesetzt werden, damit Bürokratie gezielt abgebaut werden kann. Zu den spezifischen Maßnahmen gehört es, den notwendigen Regulierungskreislauf nicht frühzeitig schon zu verengen. Die Fachministerien sollten verschiedene Handlungsalternativen in Kooperation mit den relevanten Stakeholdern entwickeln und prüfen. Eine Bürokratiebelastung infolge schon länger bestehender Gesetze könnte man spürbar reduzieren, wenn in Kooperation mit kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU) aus verschiedenen Branchen diejenigen Vorschriften identifiziert und vereinfacht werden, die für die größten Belastungen mit Blick auf Kosten sowie Umsetzung verantwortlich sind. In den Niederlanden haben sich sogenannte KMU-Tests – kurze Online-Meetings mit ausgewählten Unternehmen – bewährt. Damit wird die Praxistauglichkeit und Verhältnismäßigkeit neuer Gesetzesvorhaben gewährleistet. Für Gesetze, bei denen nach Inkrafttreten Schwierigkeiten bei der Umsetzung auftreten, sollte daher unter Beteiligung von Unternehmen, Verbänden und Behörden ein Quick Scan durchgeführt werden, um die Bürokratiebelastung zeitnah zu verringern.

Kulturwandel erforderlich

Der Erfolg eines spürbaren Bürokratieabbaus hängt wesentlich von einem zielgerichteten und vertrauensvollen Zusammenwirken verschiedener staatlicher Akteure beziehungsweise relevanter Stakeholder ab. Hier spielen auch regionale und kulturelle Aspekte eine zentrale Rolle. Ein in Großbritannien explizit als Kulturwandel bezeichneter Prozess zielt zum Beispiel darauf ab, im gesamten Regulierungssystem eine offene Kultur des Wissens- und Erfahrungsaustauschs mit regelmäßigen, auch informellen Treffen und klaren Kommunikationswegen zu etablieren, um die entsprechenden Kompetenzen durch Schulungen und Beratungsangebote aufzubauen. Unternehmen und Verbände sollten daher auch hierzulande explizit als Mitgestalter bezeichnet und aktiv mit tatsächlichen Lösungsbeiträgen eingebunden werden. Durch engen Kontakt sowie informellen Austausch sollten alle Beteiligten so auf das gemeinsame Ziel des Bürokratieabbaus und der wachstums- und innovationsfördernden Regulierung verpflichtet werden. Zur Zielerreichung ist schließlich auch eine passende Fehler- beziehungsweise Lernkultur erforderlich. Die bestehenden, aber insbesondere auch die neuen Instrumente müssen nicht notwendigerweise perfekt sein, sondern sollten in der gemeinsamen Arbeit und anschließenden Evaluierung kontinuierlich verbessert werden. Bürokratieabbau und bessere Rechtsetzung sind somit iterative Prozesse, die kontinuierlich an die wechselnden Umweltbedingungen angepasst und optimiert werden müssen.

Bürokratie neu denken

Nicht zuletzt infolge des technologischen und gesellschaftlichen Wandels müssen Bürokratie und Regulierung neu gedacht werden, anstatt sich wie im BEG IV auf einzelne Maßnahmen zu fokussieren. Dabei könnte man sich durchaus auch an anderen Ländern orientieren: Im Zentrum des wirtschaftspolitischen Diskurses in Großbritannien steht zum Beispiel weniger die kleinteilige Bürokratie mitsamt ihren statischen Kategorien von Zeit- und Kostenaufwand, sondern vielmehr die Bedeutung des Regulierungssystems als dynamischer Faktor im internationalen Standort- und Innovationswettbewerb. Auch in Deutschland sollte der Regulierungsansatz daher so gestaltet werden, dass er zum Wohle der Gesellschaft und der Gesamtwirtschaft das Unternehmertum sowie Innovationen fördert und stimuliert. Eine so interpretierte Regulierung würde weniger traditionellen Überwachungs- und Kontrollzwecken dienen. Stattdessen könnte sie eher im Sinne von Regulation as a Service aufgefasst werden und somit zu einer wesentlichen Rahmenbedingung werden, die Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit ermöglicht. Infolgedessen geht man in Großbritannien auch zunehmend vom herkömmlichen Command-and-Control-Ansatz weg – und hin zu einem risikobasierten Enable and Motivate. Dabei kommt es zu gemeinsamen Anstrengungen von Unternehmen und Behörden, um wichtige Schutzziele partnerschaftlich und im vertrauensvollen Informations- und Erfahrungsaustausch zu erreichen. Unabhängig davon werden sogenannte schwarze Schafe weiterhin sanktioniert. Ein derartiges Vorgehen trägt nicht nur zum Bürokratieabbau bei, sondern entspricht auch eher den Vorstellungen, wie Staat, Unternehmen sowie Bürger im 21. Jahrhundert interagieren und kooperieren sollten.

MEHR DAZU

Ein erster Beitrag „Paradigmenwechsel für spürbaren Bürokratieabbau“ der beiden Autoren ist im Februar 2023 in der Policy Brief-Reihe „Unternehmertum im Fokus“ erschienen. Die Policy Brief-Reihe wird vom Förderkreis Gründungs-Forschung (FGF) und vom Institut für Mittelstandsforschung (IfM) herausgegeben.

Zu den Autoren

AI
Dr. Annette Icks

Projektleiterin am IfM in Bonn

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MH
Michael Holz

Wissenschaftlicher Mitarbeiter am IfM in Bonn

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