Ein digitales Ökosystem ist laut Definition ein soziotechnisches System, in dem Unternehmen und Menschen kooperieren. Die Teilnehmer sind zwar voneinander unabhängig, profitieren jedoch von der Zusammenarbeit. Im Zentrum stehen digitale Plattformen, die die Basis für die Zusammenarbeit bilden. Ein solches digitales Ökosystem hat DATEV rund um die kaufmännischen Prozesse von Unternehmen etabliert. Bernd Meyer, Leiter Digitale Ökosysteme & Strategische Partnerschaften, berichtet, wie es sich in die Strategie der Genossenschaft einfügt, welche Aufgaben es erfüllt und wie es sich weiterentwickelt.
Das Interview führte Benedikt Leder
DATEV magazin: Das digitale Ökosystem von DATEV wächst stetig. Welchen Stellenwert hat es heute in der Unternehmens- und Produktstrategie der Genossenschaft?
BERND MEYER: Im Strategiesystem von DATEV kommt der Ökosystem- und Partnerstrategie eine wichtige Rolle zu. So ist sie beispielsweise ein wesentlicher Baustein im Rahmen der Portfolioentwicklung in Richtung Cloud, die sich gerade vollzieht. Selbstverständlich wird DATEV die wesentlichen Aufgaben in den Kanzleien auch künftig durch eigene Cloud-Angebote unterstützen. Wir stellen unser Portfolio aber auch regelmäßig auf den Prüfstand, ob sich für einzelne Aspekte nicht die Entwicklung eines Angebots mit Partnern anbietet. Der Partnerbegriff ist dabei vielfältig und kann eine intensive gemeinsame Produktentwicklung ebenso beschreiben wie auf dem DATEV-Marktplatz Partnerschaften, bei welchen die Lösungen vom Partnerunternehmen angeboten werden.
Sie setzen also auch bewusst auf Partner, um das eigene Portfolio zu bereinigen und den Anwenderinnen und Anwendern trotzdem eine Software-Landschaft anbieten zu können, die alle ihre Anforderungen erfüllt?
Ganz genau. Wir müssen uns der Situation stellen, dass unser Umfeld von einer zunehmenden technischen Komplexität geprägt ist. Kein Anbieter wird es schaffen, diese Komplexität allein zu bewältigen. Daher muss jedes moderne Unternehmen abwägen, in welchen Bereichen der Fokus auf der Eigenentwicklung liegen soll und an welcher Stelle Co-Entwicklung der bessere Weg ist. Diese Überlegung ist die Motivation für unsere Ökosystem- und Partnerstrategie. Daneben ist es gerade aus Sicht unserer Mitgliedskanzleien wichtig, dass die Software-Lösungen ihrer Mandanten an die DATEV-Lösungen angebunden werden. Denn auf Mandantenseite entstehen im Zeitalter der Digitalisierung viele relevante Daten in deren kaufmännischen Software-Lösungen. Unsere Aufgabe ist also, digitale Brücken zu bauen, damit diese Daten medienbruchfrei in die Kanzlei übernommen werden können. Ein typisches Beispiel sind im Finanzbuchführungsprozess die Rechnungsinformationen, die aus Rechnungsschreibungslösungen oder ERP-Systemen nahtlos integriert werden. Im Lohnabrechnungsprozess sind es die Daten aus HR-Lösungen oder Zeitwirtschaftsprogrammen, die es zu übernehmen gilt.
Können Sie ein paar aktuelle Beispiele für Partnerlösungen geben, die nun statt eigener DATEV-Produkte angeboten werden oder funktionale Ergänzungen bringen?
Wenn Kanzleien ihre Mandanten bei der Unternehmensbewertung unterstützen, konnten sie dazu bislang auf die On-Premises-Lösung DATEV Unternehmensbewertung zurückgreifen. Dieses Produkt gibt es künftig nicht mehr. Dafür haben wir seit Dezember 2022 mit wevalue einen Premium Partner auf dem DATEV-Marktplatz, der für diese Anforderung eine funktionell gleichwertige Lösung anbietet. Diese wird als Cloud-Lösung bereitgestellt, sodass die Kanzlei von Installationsaufwand befreit ist. Im Bereich der Jahresabschlussauswertungen modernisieren wir unsere Software gerade grundlegend. Für 99 Prozent der Anforderungen unserer Anwender wird das neue DATEV-Angebot passend sein. Das übrige Prozent – beispielsweise Unternehmen, die individualisierungsbedürftige Auswertungen auf Basis der International Financial Reporting Standards erstellen müssen – deckt seit Kurzem unser Premium Partner aumico ab. Eine Ergänzung unseres Portfolios, die in der Kanzleiorganisation anzusiedeln ist, ist eine Datenserviceintegration zu Microsoft Teams. Durch diese noch junge Partnerschaft können Dokumente aus dem DATEV Arbeitsplatz nun unkompliziert mit Teams ausgetauscht werden.
Eine wichtige übergreifende Entwicklung ist die E-Rechnungspflicht, die zum Jahreswechsel greift. DATEV hat dafür eine E-Rechnungsplattform entwickelt. Welche Rolle spielen Partner in diesem Kontext?
Die E-Rechnungspflicht ist für unsere Mitglieder und auch für DATEV eine einschneidende Entwicklung, da sie die Prozesse in der Finanzbuchhaltung wesentlich und nachhaltig verändern wird. Dies kann nur im Zusammenspiel mit Partnern und auf Basis des Plattformgedankens gelöst werden. Neben den Rechnungen, die aus DATEV-Lösungen wie Kanzleiorganisation, Auftragswesen next oder der DATEV E-Rechnungsschreibung heraus erzeugt werden, wird die Vielzahl der Rechnungen im deutschen Markt aus Hunderten bis Tausenden Rechnungsschreibungslösungen und ERP-Systemen kommen. Als offene E-Rechnungsplattform arbeiten wir an offenen Standardschnittstellen für all diese Anbieter. So werden deren Nutzer ihre Rechnungen über die DATEV E-Rechnungsplattform austauschen können. Dadurch profitieren auch unsere Mitglieder, weil sie sehr frühzeitig im Prozess verankert sind und DATEV in ihrem Sinne sehr frühzeitig Einfluss auf die Prozessgestaltung nehmen kann. Wir haben hierzu bereits Informationsveranstaltungen mit vielen Hundert Rechnungsschreibungs- und -verarbeitungsanbietern durchgeführt. Deren Interesse, mit uns zusammenzuarbeiten, sobald die Schnittstellen zur Verfügung stehen, ist sehr groß.
Das Herz des digitalen DATEV-Ökosystems ist der DATEV-Marktplatz auf dem bereits nahezu 250 Anbieter vertreten sind. Was macht diesen Marktplatz so attraktiv?
Der DATEV-Marktplatz hat sich mittlerweile zu einer der relevantesten Software-Plattformen für den deutschen Mittelstand entwickelt. Schließlich ist die reibungslose Zusammenarbeit mit seiner Steuerberatungskanzlei für jedes Unternehmen ein wichtiger Faktor. Unternehmen wie Kanzleien finden dort die relevantesten Lösungen für die betriebswirtschaftlichen Aufgaben auf einen Blick. Wir legen großen Wert darauf, dass die benötigten Informationen sofort zur Verfügung stehen – beispielsweise zur jeweiligen DATEV-Integration. Über entsprechende Links können die gewünschten Datenservices oder eine Beratung auch umgehend bestellt werden.
Zum Teil gibt es für ähnliche Anforderungen mehrere Lösungen auf dem Marktplatz. Wie können Interessenten die für sie passende heraussuchen?
Wir bieten ganz bewusst zu einem Thema meist mehrere Lösungen an. In vielen Fällen gibt es für ein Thema eine Premium Partner-Lösung, was einer Empfehlung durch DATEV gleichkommt. Oft ist es aber die Entscheidung des Mandanten, welche Software eingesetzt wird. Im Sinne eines offenen Ökosystems und medienbruchfreier Prozesse rund um die Finanzbuchführung wollen wir eine Vielzahl von Lösungen anbieten. Eine konkrete Entscheidungshilfe, wie man sie auch aus anderen Markplätzen kennt, liefert das Bewertungssystem, das wir im November 2021 eingeführt haben. Über 1.700 Bewertungen haben die Nutzer seitdem abgegeben. Inzwischen können Anbieter auch vorhandene Sicherheitszertifikate auf dem Marktplatz transparent machen. Mittelfristig arbeiten wir übrigens darauf hin, dass unsere Premium Partner über marktetablierte Informationssicherheitszertifikate verfügen.
Werden Kanzleien bei der Auswahl von Partnerauswahlverfahren berücksichtigt?
DATEV-Marktplatz Premium Partner-Lösungen werden auf Basis eines aktiven Auswahlverfahrens ausgewählt. Dabei berücksichtigen wir die Expertise und Meinungen der wichtigsten Stakeholder, zum Beispiel Berater aus dem Außendienst, Experten aus den Fachabteilungen, oder auch Meinungen erfahrener Service-Kollegen. Bei wichtigen Lösungen binden wir am Ende des Verfahrens auch Kanzleien ein. Wenn es nur noch zwei bis drei Anbieter im Auswahlverfahren gibt, laden wir diese zur Live-Präsentation ein. Dabei binden wir dann auch Kanzleien ein, die insbesondere mit der berufsständischen Brille und ihren Erfahrungen aus dem Berufsalltag die Lösungen bewerten.
MEHR DAZU
finden Sie unter www.datev.de/marktplatz und www.datev.de/oekosystem
