KI in der Rechtsberatung - 25. Juli 2024

Wie Legal Tech die Anwaltsarbeit revolutioniert

Legal Tech, der Einsatz von Technologie zur Verbesserung und Automatisierung rechtlicher Dienstleistungen, bringt die Digitalisierung in der Anwaltsbranche weiter voran. Im Interview spricht Michael Friedmann, Experte für Legal Tech und Gründer von QNC, über die aktuelle Umsetzung und die Vorteile von Legal Tech in Anwaltskanzleien.

DATEV magazin: Wie steht es aus Ihrer Sicht um die Digitalisierung in den Anwaltskanzleien?
MICHAEL FRIEDMANN: Die Digitalisierung in Anwaltskanzleien schreitet voran, allerdings mit unterschiedlicher Geschwindigkeit. Während einige Kanzleien bereits umfassende digitale Lösungen implementiert haben, um ihre Prozesse zu optimieren, stehen andere noch am Anfang dieses Weges. Insbesondere große, international tätige Kanzleien setzen verstärkt auf Legal Tech, um Wettbewerbsvorteile zu erzielen. Kleinere Kanzleien und Einzelanwälte haben oft noch Nachholbedarf, auch wenn sie zunehmend die Notwendigkeit der Digitalisierung erkennen.

Welches Potenzial hat Legal Tech?
Der Rechtsanwaltsmarkt ist geprägt von hohem Wettbewerbsdruck, steigenden Mandantenanforderungen und zunehmender Komplexität der Fälle. Legal Tech bietet enormes Potenzial, diese Herausforderungen zu bewältigen. Durch die Automatisierung routinemäßiger Aufgaben können Anwälte ihre Arbeitszeit effizienter nutzen, sich stärker auf strategische und beratende Tätigkeiten konzentrieren und dadurch die Mandantenzufriedenheit erhöhen. Zudem kann Legal Tech helfen, Kosten zu senken und die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern.

Welche Rolle spielt dabei künstliche Intelligenz?
Eine zentrale Rolle. Sie ermöglicht die Automatisierung komplexer Analysen, die Vorhersage rechtlicher Entscheidungen und die Unterstützung bei der Erstellung und Prüfung von Dokumenten. KI kann große Mengen an Daten in kürzester Zeit verarbeiten und relevante Informationen extrahieren, was die Effizienz und Genauigkeit der Rechtsberatung erheblich steigert.

Wie kann KI die Effizienz und Produktivität in Anwaltskanzleien steigern?
Zum einen durch die Automatisierung repetitiver Aufgaben, wie Dokumentenerstellung und -prüfung. Zum anderen ist die Recherche durch das Analysieren großer Datenmengen schneller und präziser. KI kann aber auch bei der Fallanalyse durch das Erkennen von Mustern und Vorhersagen unterstützen oder den Mandantenservice durch Chatbots und automatische Antwortsysteme verbessern.

Welche konkreten Anwendungsbeispiele für KI in der Rechtsbranche gibt es bereits?
Ein Beispiel ist die Vertragsanalyse-Software von Kira Systems, die Anwaltskanzleien weltweit nutzen, um Verträge schneller und präziser zu prüfen. RAVN ACE ist ein weiteres Tool, das bei der Dokumentenprüfung und Datenextraktion unterstützt. Im europäischen und insbesondere deutschsprachigen Bereich ist unser Tool Prime Legal AI zu nennen. Typische Anwendungsfälle sind komplexe rechtliche und Compliance-Fragen, die der sogenannte eLawyer beantworten kann, das Entwerfen von Klauseln und Verträgen und im Litigation-Bereich das Erstellen von Klagen und Klageerwiderungen.

Und wie bewähren sich diese Use Cases?
Die genannten Anwendungen steigern die Effizienz und reduzieren die Fehlerquote. Die Zeitersparnis liegt je nach Use Case zwischen 30 und 85 Prozent und ergibt sich aus der für die Suche und das Formulieren eingesparten Zeit. Die Qualität der Antworten hängt dabei von den zur Verfügung stehenden Daten der Organisation ab. In vielen Fällen erkennen die Anwälte ihre Sprache und Formulierungen wieder.

Inwieweit kann KI Anwaltskanzleien bei der Recherche von Rechtsprechung, Gesetzen und Fallstudien unterstützen?
KI kann Sachverhalte schnell auf relevante Rechtsprechung und Gesetze subsumieren. Systeme wie Prime Legal AI nutzen maschinelles Lernen, um präzise und relevante Suchergebnisse zu liefern. In diese Tools können Rechtsprechung und Gesetze integriert werden, was dann halluzinationsfreie Ergebnisse liefert.

Haben Sie Beispiele für weitere mögliche Anwendungsszenarien von Legal Tech in Anwaltskanzleien?
Weitere Anwendungsszenarien für Legal Tech in Anwaltskanzleien umfassen die Automatisierung des Mandanten-Onboardings und Compliance-Prüfungen, die Nutzung von Blockchain-Technologie für die sichere und transparente Dokumentenverwaltung oder den Einsatz von virtueller Realität für die Simulation von Gerichtsverhandlungen. Denkbar sind auch die Online-Streitbeilegung und Mediations-Tools oder die Entwicklung von maßgeschneiderten Legal-Tech-Lösungen für spezifische Rechtsgebiete.

Welche Lösungen von DATEV unterstützen bereits heute?
DATEV bietet verschiedene Lösungen für die Digitalisierung und Automatisierung von Kanzleiprozessen, wie etwa DATEV Anwalt classic für die Verwaltung von Mandanten und Akten oder DATEV DMS für das Dokumentenmanagement. Besonders stolz bin ich, dass DATEV als erster Kanzlei-Software-Anbieter in Deutschland noch in diesem Jahr den Kunden eine Schnittstelle zu Prime Legal AI anbietet, was die Arbeit mit einer KI-Lösung aus der Akte heraus ermöglicht.

Gibt es ethische oder rechtliche Bedenken im Zusammenhang mit dem Einsatz von KI in Anwaltskanzleien?
Ja. Zu den wichtigsten zählen Fragen des Datenschutzes, die Transparenz und Nachvollziehbarkeit von KI-Entscheidungen sowie die Haftung bei Fehlentscheidungen. Diese Bedenken können durch klare regulatorische Rahmenbedingungen, die Einhaltung von Datenschutzbestimmungen und die Entwicklung transparenter, nachvollziehbarer KI-Modelle adressiert werden. Auch fortlaufende ethische Überprüfung und Schulung der Mitarbeiter sind essenziell.

Wie verändert sich der Beruf des Anwalts und grundsätzlich die Arbeit in den Kanzleien in den nächsten Jahren?
In den nächsten Jahren wird der Beruf des Anwalts stärker technologiegetrieben sein. Routineaufgaben werden zunehmend automatisiert, wodurch Anwälte mehr Zeit für strategische und beratende Tätigkeiten haben. Die Arbeit in Kanzleien wird flexibler und kollaborativer, mit einem stärkeren Fokus auf interdisziplinärer Zusammenarbeit und technologischer Kompetenz. Mandanten werden verstärkt digitale und automatisierte Dienstleistungen erwarten.

LEGAL TECH IN ANWALTSKANZLEIEN

Bei der Einführung von Legal Tech sollten Kanzleien schrittweise vorgehen. Dadurch können Kanzleien einen effektiven Einstieg in die Nutzung finden und ihre Arbeitsprozesse nachhaltig verbessern.

  1. Analyse und Planung: Evaluieren Sie Ihre aktuellen Prozesse und identifizieren Sie Bereiche mit Verbesserungspotenzial durch Technologie.
  2. Schulung und Weiterbildung: Investieren Sie in die Schulung Ihrer Mitarbeiter, um technologische Kompetenzen aufzubauen.
  3. Pilotprojekte: Starten Sie mit kleinen, kontrollierten Pilotprojekten, um erste Erfahrungen zu sammeln und Akzeptanz zu fördern.
  4. Technologieintegration: Integrieren Sie bewährte Legal-Tech-Lösungen in Ihre täglichen Arbeitsabläufe.
  5. Kontinuierliche Anpassung: Bleiben Sie offen für neue Entwicklungen und passen Sie Ihre Strategien kontinuierlich an.

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Zum Autor

Dr. Tobias Wagner

Product Owner Legal Tech bei DATEV Anwalt

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