Die Überlegungen von Prof. Dr. Lorenz Jarass im DATEV magazin 01/2014 sind bemerkenswert. Der Autor hat Schwachstellen im gegenwärtigen System aufgedeckt. Dabei werden auch Politikkonzepte vermittelt. Was sind die Kernaussagen und was ist davon zu halten?
Bei seinen Überlegungen zu einem gerechteren System der internationalen Besteuerung konzentriert sich Prof. Dr. Lorenz Jarass in seinem Beitrag „Die Rechnung, bitte!“ im DATEV magazin 01/2014 auf eine Gegenüberstellung von Lohneinkommen und Kapitalentgelte. Im Vergleich zu den Lohneinkommen blieben erhebliche Teile der Kapitalentgelte in Deutschland weitgehend unbesteuert. Dem Kapitalentgelt (Jarass meint wohl ökonomischen Gewinn oder den EBIT) müssten die Schuldzinsen und Lizenzgebühren zugeschlagen und versteuert werden. Dann könnten solche Beträge nicht mehr in Steueroasen abfließen. Aufwendungen dürften in Deutschland nicht mehr steuerlich geltend gemacht werden, soweit das dafür erzielbare Einkommen hier nicht steuerpflichtig sei. Insoweit dürften Aufwendungen für den Abbau von Anlagen und für die Verlagerung von Arbeitsplätzen, die dann in andere Staaten verlegt würden, hier nicht mehr abzugsfähig sein.
Auch sei zwingend erforderlich, die gewaltigen Verlustvorträge (angeblich 600 Milliarden Euro) zeitlich zu begrenzen. Wertsteigerungen von Betriebsvermögen blieben in Deutschland überwiegend dauerhaft unbesteuert. Weil Wertsteigerungen nur bei Verkauf infolge des Realisationsprinzips besteuert würden, Verluste jedoch infolge des Vorsichtsprinzips sofort steuerlich wirksam würden, müsse dies geändert werden. Auch hierzu wird auf den ökonomischen Gewinn als Maßstab verwiesen.
Insgesamt handelt es sich um interessante Überlegungen. Offen bleiben die Inhalte einiger verwendeter Termini wie Kapitalentgelt, ökonomischer Gewinn, aggressive Steuervermeidung. Prof. Dr. Jarass betont, dass die vorgeschlagenen Maßnahmen noch näher ausgearbeitet werden müssten. Dennoch sei es erlaubt, vorab dazu Stellung zu nehmen.
Funktionen der Besteuerung
Steuern haben fiskalische und Lenkungsfunktionen. Erhoben werden sie nach politischen Kriterien, die mit Gesetzen, Urteilen und Verwaltungsanweisungen umgesetzt werden. Politisch liegen den Entscheidungen aber Leitlinien wie Gerechtigkeit, Leistungsfähigkeit und Einkommensverteilung zugrunde. Dieses System ist demokratisch durch Wahlen über die Jahre bestätigt. Abrupte Änderungen negiert der Bürger bei nächster Wahlgelegenheit. Als Konsument weicht der Bürger einer zunehmenden Belastung aus (beispielsweise rückläufiges Tabaksteueraufkommen 2013). Auch Unternehmen verhalten sich sensibel: Sie kalkulieren genau und vergleichen mögliche Standorte. Das hoheitliche Steuersystem wird im Unternehmen betriebswirtschaftlich durch eine Steuerstrategie ergänzt. Unternehmen haben eine Aufgabe: Die langfristige Überlebensfähigkeit bei voller Liquidität ist zu gewährleisten. Investitionen müssen sein und auch Gewinne, aus denen erfolgreich gewirtschaftet werden kann.
Taxopoly bzw. Aggressive Tax Planning (ATP)
Falls sich normative Tatbestände zum Missbrauch eignen würden, müsste eine Analyse dies verifizieren.
Seit der Aktionsplan der EU-Kommission in 2012 vorgelegt wurde, folgten das Papier der OECD mit der BEPS-Studie im Februar 2013 und der OECD-Aktionsplan zur Bekämpfung von Steuermissbrauch im Juli 2013. Alles sind Reaktionen auf empfundene Globalisierung, Digitalisierung der Wirtschaftsprozesse sowie den technischen Fortschritt bei weltweit gestiegenem Austausch von Gütern und Dienstleistungen. Eilfertig werden publizistisch Anglizismen übersetzt und man jagt mit „aggressiver Steuerplanung“ ein Phantom, das sich freilich gut anhört. Vermeintlich geht es um Steuergestaltung. Diese kann legal sein. Fraglich ist doch nur, ab wann sie möglicherweise verwerflich wird. Zumindest ist die Rechtslage insoweit unklar, weil ja auch bekanntermaßen unser Steuerrecht nicht rechtsformneutral ist. Falls sich normative Tatbestände zum Missbrauch eignen würden, müsste eine Analyse dies verifizieren. Denn nur dann könnten Gegenmaßnahmen getroffen werden, um verwerfliche Gestaltungen auszuschalten, die möglicherweise sogar zur Illegalität führen. Für Reparaturen wären dann primär die Verursacher zuständig, Finanzverwaltung mit Gesetzgeber. Andererseits sind reaktive Tatsachen zu erkennen: Wird ein Tatbestand geändert, gebiert jede neue Regelung unmittelbar der Komplexität wegen neue Ausweichmöglichkeiten, weil bei der Normsetzung kaum die vollständige Tragweite übersehen werden kann. Wirtschaftsprozesse sind mobil, Steuertatbestände stabil.
Steuerwirkungen
Dank der letzten Wahlprogramme waren viele neue, mitunter auch innovative oder gar aggressive Steuervorschläge bekannt geworden. Der Wähler hat die Entscheidung getroffen. Er hat sogar die Konzepte derjenigen Parteien abgestraft, deren Kernkompetenz ehedem auf anderem Gebiete lag. Allerdings, wenn nach der Steuerwirkung gefragt wird, kommen erstaunliche Ergebnisse zutage. Denn eine Erhöhung bei einer Steuerart verursacht bei einer anderen Steuer eine Minderung oder sie wird überwälzt (Inzidenz). Konsum, Produktion oder Dienstleistung reagieren diffus.
Indes ist auch die demografische Entwicklung noch nicht aufgearbeitet, etwa inwieweit die zunehmende Überalterung der Bevölkerung oder deren Migrationshintergrund das Steueraufkommen und seine Verteilung beeinflussen.
Jedenfalls für generationenübergreifend tätige Unternehmen hat eine, den dynamisch verlaufenden Rahmenbedingungen nicht adäquate Besteuerung, unmittelbar auch Wettbewerbsbeschränkungen am Standort Deutschland zur Folge. So können beispielsweise kommunale Hebesatzveränderungen zum Personalabbau führen, weil Lohnsummen reduziert werden sollen (ZEW DiscPaper 13-039). Ausländische Pressestimmen würdigen dies mit der Feststellung, „angesichts von Verlauf und Lage der deutschen Wirtschaft und dem haushaltspolitischen Sparzwang wären neue Steuern ein Unding“ (NZZ 21.08.13).
Steuerwirklichkeit in Deutschland
International kann man den Steuerwettbewerb nachvollziehen. So hat Deutschland ab der Jahrtausendwende bis 2013 etwa den statistischen Abstand zu Industrieländern verringert. Nach der Weltbankstudie liegt Deutschland in der Total Tax Rate noch immer auf Platz 130 von 186 beurteilten Staaten (StuW12,96). Einer anderen Statistik nach fiel Deutschland im Jahr 2012 vom 72. auf den 89. Rang ab. Das ist die Realität, weil die Staaten untereinander im Wettbewerb stehen. Regierungen verhalten sich wie Unternehmen im Markt mit Angebot und Nachfrage. Und die Nutzung solch angebotener Steuerarbitrage durch Unternehmen ist legitim und nicht verwerflich. Ganz im Gegenteil, wenn wirtschaftliche Gegebenheiten dies ermöglichen, müssen die Organe der Sorgfaltspflicht wegen handeln, um nicht etwa mit einem Untreuevorbehalt konfrontiert zu werden. So haben die Steuerkniffe von Apple und Google den Effekt, dass außerhalb der USA wenige Steuern bezahlt werden, weil beispielsweise der gesamte Auslandsgewinn in Irland angefallen ist. Deshalb setzt sich der Niedergang Frankreichs infolge dortiger Steuerbelastungen fort. Nach Eurostat trägt dort das verarbeitende Gewerbe nur noch zehn Prozent zur Bruttowertschöpfung bei, in Italien sind dies immerhin 16 Prozent und in Deutschland sogar 23 Prozent. Im Klartext heißt dies: Die Besteuerung hat die Produktion vertrieben … Einem berühmten Franzosen (Jean Fourastié, Drei-Sektoren-Theorie) nach, hätte sich stattdessen der Dienstleistungssektor im Einklang erweitern müssen. Doch auch der ist geschrumpft. Falsch verstandene Verteilungspolitik wirkt sich nur kurzfristig zugunsten der Menschen aus, langfristig führt sie zum Desaster. In diesem Zusammenhang ist es erfreulich, wenn beispielsweise Polen als neues Investorenparadies gerühmt wird oder wenn in China mit „repatriation strategies – how can a SME get their profits out of China?“ geworben wird. Also damit, wie dort erzielte satte Gewinne zurückgeholt werden können.
Steueroasen
Dramatisiert wird die zunehmende Verlagerung von unternehmerischen Basiselementen in sogenannte Steueroasen.
Dramatisiert wird die zunehmende Verlagerung von unternehmerischen Basiselementen in sogenannte Steueroasen. Neben dem niedrig gehaltenen Steuerniveau haben Oasen keine besonderen wirtschaftlichen Vorteile. Zur Lösung dieses vorrangig politischen Problems bedarf es eines internationalen Konsenses. Es sind jene Staaten einzubinden, die außerhalb wirtschaftlicher Umstände ihre Besteuerungen regeln. Auch innerhalb der EU sind Staaten mit speziellen Privilegien für Steuergestaltungen zu finden (Niederlande für Lizenzen, Irland für Dividenden usw.). Allerdings fehlt noch ein rechtlicher Ansatz. Weder das nationale Recht noch das Gemeinschaftsrecht oder gar das Welthandelsrecht (nur Zölle) und Völkerrecht helfen hier weiter. Nicht einmal das scharfe Beihilfeverbot der EU kann auf solche Transfers einwirken. Deutschland reagiert in diesem allgemeinen Spannungsfeld sehr aktiv. Es hat gesetzlich die Zinsschranke und jüngst auch die Entstrickungsbesteuerung (Gewinnabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte) eingeführt. Die Finanzverwaltung agiert mit akribischer Überwachung auch der mittelständischen Unternehmen bei Verrechnungspreisen und Funktionsverlagerungen. Indes gebührt der bayerischen Verwaltung hohe Anerkennung, weil sie durch das eingerichtete „internationale Steuerzentrum“ die Effizienz multinationaler Betriebsprüfungen im Einvernehmen mit den Drittstaaten gemeinsam koordinieren will. Das dürfte sich als besonders wertvoll bei grenzüberschreitenden Aktivitäten mittelständischer Unternehmen erweisen, um die ehedem intransparenten Strukturen zumindest greifbar und gegenseitig abstimmbar zu machen.
Vernetzungen der Steuerverwaltungen
Automatischer Datenaustausch zwischen den Finanzverwaltungen erfolgt zusehends intensiver. Vor fast einem Jahrzehnt haben 25 EU-Staaten beschlossen, Informationen über Kapitalanlagen untereinander auszutauschen. Die EU verabschiedete die Zinsrichtlinie. Freilich, die Falldaten der gut 400 Millionen Steuerpflichtigen bedürfen einer Automatisierung. Die Verwaltungen hinken bei der Übermittlung samt den Auswertungen in den Finanzämtern hinterher. Nachdem nun auch Luxemburg und Österreich wohl ab 2014 mitmachen, erweitert sich nochmals der Datenfluss. Die Optimierung wird dann erfolgen, wenn die Kernstaaten (Deutschland, Italien, Spanien, Frankreich und Großbritannien) zudem alles gegenseitig melden, was als Kapitaleinkunft generiert wird, aber von der Zinsrichtlinie noch nicht erfasst ist. Der Flaschenhals aller IT-Bearbeitungen scheint beim Bundeszentralamt für Steuern zu liegen. Deshalb haben auch die Aufkäufe von Datenträgern mit Bankdaten große Resonanz bewirkt und relativ schnell zu Erträgen geführt. Langwieriger ist die Verwertung aus den Datenpools der angeschlossenen Steuerverwaltungen. Denn die neue EU-Richtlinie über die Zusammenarbeit der Steuerverwaltungsbehörden verlangt obendrein auch solche Datenlieferungen von Vergütungen für unselbständige Arbeit, Aufsichtsrats- oder Verwaltungsratsvergütungen, Lebensversicherungsprodukten, Ruhegehältern, Eigentum von unbeweglichem Vermögen samt Erträgen daraus. Insoweit ist freilich noch nicht terminvbestimmt, wann schlussendlich die Engländer und die Amerikaner ihre Daten über Trusts, Stiftungen und Treuhandeinrichtungen erfassen und melden. Steuerhinterziehung wird jedenfalls zukünftig erschwert, das Risiko der Entdeckung steigt auf gut 100 Prozent. Allenfalls die IT-Kapazitäten bei den Finanzverwaltungen verzögern noch die unverzügliche und vollständige Umsetzung der geplanten Vernetzung.
Sehr einfach angelegte Projekte scheinen erfolgreicher zu sein als groß angelegte Systemumbrüche oder als auf politische Einigungsprozesse der Industriestaaten zu warten. Überschaubare Bereiche zu reformieren erscheint zielführender.
Fazit
Der große Wurf einer harmonisierten einheitlichen Bemessungsgrundlage für Unternehmenserträge mit Formeln zur Aufteilung für die betroffenen Staaten wird eine Vision bleiben. Betriebsprüfungen, Qualifikationskonflikte oder der Betriebsstättenbegriff, das sind Teillösungen oder auch Pflastersteine auf den Pfaden nach Utopia.