Künftige Entwicklungen im Zahlungsverkehr - 29. Oktober 2020

Bares wird Rares

Deutschland liebt das Bargeld, heißt es. Noch immer stellen Einzelhändler Schilder auf wie: „Kartenzahlung erst ab 10 Euro“. Vielleicht wäre der Umsatz des E-Commerce weitaus höher, hätten nicht viele Deutsche weiterhin Vorbehalte gegenüber Online-Zahlverfahren. Doch mit zunehmend komfortableren Lösungen wird sich die Phalanx der Skeptiker mit der Zeit auflösen.

Wem als Urlauber in Schweden der Sprit ausgeht, der hat gute Chancen, liegen zu bleiben, wenn er ohne Kreditkarte unterwegs ist. Im für deutsche Maßstäbe dünn besiedelten Land noch eine Tankstelle zu finden, die Bargeld akzeptiert, setzt Geduld und volle Reservekanister voraus. Scheine und Münzen sind für Beträge, die einer Tankfüllung entsprechen, völlig unüblich geworden. Und nicht nur das: Selbst eine Packung Kaugummi wird mit großer Selbstverständlichkeit bargeldlos bezahlt. Die Abkehr vom Baren spiegelt sich in einer Untersuchung des Start-ups Vexcash wider: Demnach entsprach die Bargeldmenge in Schweden bereits 2017 nur noch 1,24 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Im Euroraum lag der Wert mit 10,34 Prozent achtmal höher. Gerade Schweden gewährt uns schon heute einen Blick in eine mögliche bargeldlose Gesellschaft, auf die wir auch in Deutschland zustreben. Eine Ursache dafür ist, dass seine Einwohner sich frühzeitig an den Komfort bargeldlosen Zahlens gewöhnt haben. Schon 2012 schlossen sich sieben führende Banken des Landes zusammen, um mit Swish eine App zur einfachen Überweisung per Smartphone zu entwickeln. Zunächst im Peer-to-Peer-Betrieb, also zur Geldübertragung zwischen Privatpersonen getestet, hat der Handel die Zahlart auf Telefonnummer- beziehungsweise QR-Code-Basis längst adaptiert. Sofortige Ausführung und voller Überblick in der App – bequemer geht es nicht.

China: Apps für alles

Noch einen Schritt weiter sind die Konsumenten in China. Dort sind die beliebtesten mobilen Zahlverfahren Alipay und WeChat Pay eingebettet in sogenannte Super-Apps, die viele Bereiche des täglichen Lebens zusammenführen. Ganz vorn dabei natürlich der E-Commerce. WeChat nutzen über eine Milliarde Chinesen, um sich Nachrichten zu senden, Arzttermine zu vereinbaren, Essen zu bestellen, ihre Stromrechnung zu begleichen, und natürlich zum Shoppen und Bezahlen, online wie offline. Möglich geworden ist diese Vielfalt – und WeChat ist noch keine zehn Jahre alt – vor allem durch die gestiegene Rechenleistung heutiger Smartphones und allgegenwärtige Netzverbindung. Doch diese beiden Faktoren allein reichen nicht aus. Nur eine positive Nutzererfahrung macht Neugierige zu Power-Usern. Die westliche Welt ist mit Apple Pay und Google Pay hinsichtlich des Komforts beim Bezahlen auf einem ähnlichen Weg, nur langsamer. Beide sind reine Bezahl-Apps, deren Nutzung derzeit den Besitz einer Karte voraussetzt, eine direkte Bankkontoanbindung wie bei den chinesischen Zahlarten gibt es noch nicht. Händler müssen die Zahlungsmethoden in ihrem Online-Shop als eigene Zahlart hinterlegen, für mobile Nutzer einen Software-Baustein integrieren. Die Zahlungsauslösung im Laden beginnt dafür mit einem funkbasierten, automatisch erkannten Near-Field-Communication(NFC)-Signal, ohne die Kamera zu aktivieren. Das spart einen Schritt beim Abschluss der Bezahlung, erfordert aber eine technische Grundausstattung auf Händlerseite, während einer chinesischen Suppenküche am Straßenrand der ausgedruckte QR-Code ausreicht, um Zahlungen zu empfangen.

Der Online-Handel beeinflusst das Offline-Bezahlen

Wie relevant Zahlungsmethoden für den Offline-Einkauf zukünftig sein werden, steht auch im Zusammenhang mit der Entwicklung im Handel insgesamt. Mit weiterhin zweistelligen Wachstumsraten nagt der Online-Handel nachhaltig am Handelsumsatz; und der Lockdown von großen Teilen des stationären Einzelhandels im Frühjahr hat diesen Trend noch einmal deutlich verstärkt. Für 2020 wird der deutsche Online-Umsatz mit Waren und Dienstleistungen die 100-Milliarden-Marke überspringen und somit bald ein Fünftel des Einzelhandelsumsatzes ausmachen. E-Commerce boomt, und hier besonders die mobile Variante: Je nach Warengruppe shoppen die Kunden schon bis zu 80 Prozent per Smartphone oder Tablet. Galt noch vor Jahren die Devise online first, so heißt der Trend derzeit mobile first und bei ersten Händlern schon mobile only. Diese Entwicklung wird E-Wallets wie Apple Pay oder PayPal weiter stärken. Am Desktop-Rechner lassen sich Kreditkartennummern noch einigermaßen komfortabel eingeben, am kleinen Bildschirm des Smartphones wird ein solcher Zahlungsprozess jedoch zur Qual. Händler, die One-Touch-Verfahren einbinden, werden die Gewinner im Mobile Commerce sein. Spannend wird es in den nächsten ein bis zwei Jahren, wer die Nase bei den Zahlverfahren vorn hat. Die Zahlarten, die eng am Betriebssystem des Geräts hängen, haben Vorteile. Doch kulturelle Gewohnheiten spielen eine nicht zu unterschätzende Rolle. Gerade in Europa mit seiner heterogenen Zahlartenlandschaft könnten lokale Verfahren eine starke Position gegenüber GAFA (Google, Apple, Facebook, Amazon) aufbauen. Mit Klarna aus Schweden, mittlerweile weltweit aktiv, mit der Carte Bancaire in Frankreich, mit Bluecode aus Österreich und paydirekt in Deutschland stehen Alternativen bereit, deren Alleinstellungsmerkmal nicht nur in der Verbindung zum heimischen Bankenmarkt und dem damit einhergehenden Verbrauchervertrauen besteht, sondern auch in der Beachtung europäischer Datenschutzvorgaben.

B2B: beim Bezahlen vom E-Commerce lernen

Alle bisher aufgezeigten Entwicklungen beziehen sich auf den Handel gegenüber dem Endverbraucher. Doch wird sich der Zahlungsverkehr im B2B-Geschäft verändern? Zunächst sind die Finanzverantwortlichen, die Einkäufer und Treasurer in Unternehmen auch als Privatpersonen im E-Commerce unterwegs und erleben dort, wie komfortabel das Bezahlen geworden ist und wie die Händler den Zahlvorgang in ihren Workflow integriert haben. Und so ist es auch kein Wunder, dass sich Zahlungsmethoden aus dem Online-Handel anschicken, den Klassiker im B2B, die Rechnung mit nachgelagerter Überweisung, abzulösen. Vor allem die auf die Bedürfnisse von Unternehmen zugeschnittene Purchasing Cards erweitern die Möglichkeiten deutlich. Normale Kreditkarten ermöglichen aufgrund des engen Verfügungsrahmens keine Anwendung für den Zahlungsverkehr zwischen Unternehmen. Karten wie die Purchasing Cards von American Express hingegen können Millionenbeträge transferieren, sind dafür jedoch durch ein ausgefeiltes Berechtigungsmanagement auf bestimmte, zugelassene Lieferantenbeziehungen beschränkt. Gerade Stammlieferanten profitieren in ihren Workflows von einer Transformierung in Richtung E-Commerce. Wenn sie Online-Shops aufbauen, in denen ihre B2B-Kunden ein auf ihren Bedarf zusammengestelltes Sortiment vorfinden – oder ihre Produkte in einen Marktplatz des Kunden einstellen –, dann beginnt der Einkaufsvorgang nicht mehr mit einer Angebotsanfrage, sondern mit einem Klick des Einkäufers auf das entsprechende Produkt. Und es endet nicht mit Rechnungsversand und der Hoffnung auf das Einhalten des Zahlungsziels, sondern mit einer automatischen Bezahlung und Verbuchung des Betrags aus dem Warenkorb. Zu einer Beschleunigung werden auch die neuen Instant Payments beitragen, die Echtzeitüberweisungen, die im Zuge der Zahlungsdienstrichtlinie PSD2, wenn auch langsam, an den Markt kommen. Mit ihrer Betragsgrenze von 100.000 Euro sind sie für mittelständische Unternehmen schon durchaus einsatzfähig. In Kombination mit einer Zahlungsauslösung durch einen Payment Service Provider, der sich der neuen offenen Schnittstellen der Banken bedient, lässt sich auch dieser schnelle (zehn Sekunden), europaweite (SEPA-Raum) und stets verfügbare (24/7) Geldtransfer für den E-Commerce gewordenen B2B-Einkauf verwenden.

Schutz vor Betrug

Eine Herausforderung jedoch betrifft den E-Commerce zwischen Unternehmen wie zwischen Händler und Endverbraucher gleichermaßen: das Betrugsrisiko. Sofern sich B2B-Plattformen nicht ausschließlich auf offline gewachsene Kundenbeziehungen beschränken, sollten sie genauso wachsam sein wie Händler, deren Angebot sich an die breite Öffentlichkeit richtet. Denn auch Betrüger werden klüger, wenn es darum geht, Schwachstellen der Digitalisierung auszunutzen. Payment Service Provider wie Computop haben an dieser Stelle eine Schutzfunktion für ihre Händler. Zwar prüfen auch die kartenausgebenden Banken, die Issuer, einlaufende Transaktionen auf verdächtige Parameter. Sie haben zwar einen besseren Blick auf die Historie der einzelnen Kunden, dafür aber nicht den Marktüberblick über viele Branchen, Zahlungsmittel und internationale Transaktionen. Neben dem Abgleich mit Blacklists, der Verknüpfung von Zahlungsmittel und Gerät oder dem Melden von auffälligen Häufungen im Kaufverhalten kommen künftig verstärkt Methoden der künstlichen Intelligenz (KI) zum Einsatz. Dabei wertet eine Risk Engine, die in den Transaktionsprozess integriert ist, erfolgreiche und gescheiterte Transaktionen selbstlernend aus, um Muster zu erkennen, die sie dann auf die nächsten Transaktionen anwendet. So erkennt sie schließlich auch neue Betrugsverfahren in kurzer Zeit und kann ihren Schutz daran anpassen. Auch wenn sich Betrug niemals zu 100 Prozent wird vermeiden lassen, wird das Online-Bezahlen in den nächsten Jahren noch sicherer, als es derzeit schon ist. KI kann aber noch mehr. Die Fähigkeit, große Datenmengen zu analysieren und dabei auf Muster zu stoßen, wird Händler künftig darin unterstützen, ihre Kunden noch besser kennenzulernen und ihr Sortiment und die Kundenansprache noch besser auf das Käuferverhalten abzustimmen. Gerade in der Kombination der sehr aussagestarken Zahlungsdaten mit Orts-, Demografie-, Wetter- oder Wirtschaftsdaten liegt ein großes Potenzial für Unternehmensabsatz und Rationalisierungseffekte.

Eine Währung für alle?

Kryptowährungen werden schon seit einigen Jahren als großes Zukunftsthema des Zahlungsverkehrs gehandelt. Das Experiment des Bitcoins, das mit der Blockchain eine neuartige Technologie bekannt machte und von der Vision einer globalen, anonymen und nicht regulierten Währung befeuert Wurde, hat zwar für viel Aufsehen gesorgt, doch eine Währung wurde das Bitcoin nicht. Mittlerweile sind es und viele seiner Nachfolger ein spekulatives Anlageobjekt geworden, und niemand würde sein Gehalt oder laufende Kosten einer Währung anvertrauen, die innerhalb eines Tags um 20 Prozent schwankt. Auch die Ankündigung, mit Facebooks Libra eine potenzielle Weltwährung zu schaffen, ist auf wohlbegründete Vorbehalte aus Gesellschaft, Wirtschaft und Politik gestoßen.

Zahlungsverkehr der Zukunft

Und wer sind nun die Akteure der Zukunft des Zahlungsverkehrs? Die Banken haben einen schweren Stand. Veraltete Technologie und wenig Offenheit für die Anforderungen und Chancen des E-Commerce haben sie bereits ihre Führungsposition gekostet. Zwar besitzen sie noch das Kundenvertrauen, doch die starken Player im Online-Handel heißen PayPal, Klarna, Apple, Google, Amazon. Die bankeigenen Apps werden allenfalls für das Online-Banking verwendet, an der Ladenkasse oder im E-Commerce spielen sie keine große Rolle. Das Geschäft der Verbraucherkredite wird direkt an den Kaufprozess angedockt, und mit ratenkauf by easyCredit ist nur eine Bank in relevanter Größe beteiligt, andere Player heißen Ratepay, Paymorrow oder wieder Klarna. Die großen Kreditkartenmarken stellen eine leistungsfähige Infrastruktur bereit und sind stark in der Betrugsprävention engagiert, doch mit Wallets und Wearables wird zumindest die physische Karte mit der Zeit verschwinden. Und so sehen wir heute gegen anfängliches Widerstreben neue Allianzen von Banken und wendigen Fintechs oder Payment Service Providern, die gemeinsam attraktive Pakete schnüren für das Bezahlen der Zukunft – ob mit oder ohne Bargeld.

Mehr dazu

finden Sie unter www.computop.com/payment-insights.

Dieser Blog informiert regelmäßig über Neuheiten und Branchenpersepektiven aus der Welt des Zahlungsverkehrs. Aktuell lesen Sie dort zum Beispiel Beiträge über das kontaktlose Bezahlen mit der eigenen Kreditkarte in öffentlichen Verkehrsmitteln oder über alternative Zahlverfahren in der Versicherungsbranche.

DATEV-Fachbuch: Stolperfalle Online-Handel (E-Book), Art.-Nr. 19344

Zum Autor

RG
Ralf Gladis

Geschäftsführender Gesellschafter und Mitgründer von Computop in Bamberg

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