Funktionsverlagerungen - 30. Mai 2024

Ein Mehr an Bürokratie

Bei der Besteuerung von grenzüberschreitenden Verlagerungen greifen nun neue Vorschriften, die nicht nur als eine Gesetzesverschärfung zu bezeichnen sind, sondern auch zu einer Erhöhung der Transferpaketbewertungen führen.

Nachdem erstmalig 2007 Funktionsverlagerungen in Deutschland gesetzlich geregelt wurden und 2008 die erste Funktionsverlagerungsverordnung (FVerlV) veröffentlicht wurde, ist viel passiert. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hat ihr Projekt Base Erosion and Profit Shifting (BEPS) gestartet und beendet sowie die Ergebnisse im Nachhinein gerade mit Blick auf die Verrechnungspreise verfeinert. Die globalen Bemühungen in diesem Zusammenhang zielen weiterhin darauf ab, Gewinnverlagerungen einzudämmen. Dieser Einfluss findet sich auch auf Ebene der Europäischen Union (EU) wieder. Die Anti-Tax Avoidance Directive (ATAD) setzt EU-weit Maßnahmen gegen Steuervermeidung um und will sicherstellen, dass Gewinne dort versteuert werden, wo die wirtschaftliche Aktivität stattfindet und der Wert geschaffen wird. Auch 2021 und in den Folgejahren ist der deutsche Gesetzgeber mit Blick auf Funktionsverlagerungen erneut aktiv geworden. Mit den nachfolgenden Änderungen sehen sich die Steuerpflichtigen seitdem konfrontiert.

Gesetzesänderung 2021

Im Zentrum des Abzugsteuerentlastungsmodernisierungsgesetzes (AbzStEntModG), das am 2. Juni 2021 verabschiedet wurde, stand die Einführung des § 1 Abs. 3b Außensteuergesetz (AStG) – eine Norm, die speziell Funktionsverlagerungen zwischen verbundenen Unternehmen adressiert. Funktionsverlagerungen sind Vorgänge, bei denen ein Unternehmen Geschäftsfunktionen, wie beispielsweise Produktion, Forschung und Entwicklung oder Vertrieb, einschließlich der dazugehörigen Chancen und Risiken sowie der mitübertragenen oder mitüberlassenen Wirtschaftsgüter oder sonstigen Vorteile von einem Land in ein anderes verlagert. Folge einer Funktionsverlagerung ist regelmäßig die Bewertung der Funktion als Ganzes durch eine sogenannte Transferpaketbewertung. Wichtige Aspekte der Änderungen beinhalten die Ausweitung der Legaldefinition einer Funktionsverlagerung, wobei nun auch Fälle eingeschlossen sind, bei denen lediglich nicht näher bestimmte, sonstige Vorteile übertragen werden, ohne dass auch Wirtschaftsgüter übertragen werden müssen. Eine weitere wichtige Neuerung ist die Zusammenführung der früheren drei Ausnahmeregelungen zu einer einzigen. Die verbleibende Ausnahmeregelung ist insbesondere für sogenannte Outsourcing-Fälle gedacht. Gemäß dieser Regelung kann von einer Transferpaketbewertung abgesehen werden, wenn das aufnehmende Unternehmen weder wesentliche immaterielle noch sonstige Vorteile erhält und die Leistungen ausschließlich gegenüber dem abgebenden Unternehmen fortan unter Anwendung der Kostenaufschlagsmethode erbringt. Insgesamt stellt die neue Norm eine faktische Gesetzesverschärfung dar, da in der Folge mehr Verlagerungsfälle als Funktionsverlagerungen einzustufen sind.

Funktionsverlagerungsverordnung 2022

Striktere Regeln in Bezug auf Funktionsverlagerungen setzen sich auch in der geänderten FVerlV fort, in der die steuerlichen Tatbestände, Ausnahmetatbestände und Konsequenzen von Funktionsverlagerungen zwischen verbundenen Unternehmen detaillierter geregelt werden. Im Jahr 2022 wurden bedeutende Änderungen in dieser Verordnung vorgenommen, die maßgeblich auf den gesetzlichen Anpassungen des Jahres 2021 aufbauen. Diese Neuerungen sind sehr relevant für die praktische Auslegung sowie die Umsetzung der steuerlichen Bewertung von Funktionsverlagerungen. Die Neufassung der FVerlV berücksichtigt insbesondere sämtliche gesetzlichen Änderungen im § 1 Abs. 3b AStG aus 2021, speziell, dass allein die Verlagerung von sonstigen Vorteilen ausreicht, um eine Funktionsverlagerung auszulösen; sie enthält jedoch auch weitere Verschärfungen. So sollen auch die teilweise Übertragung oder Überlassung einer Funktion sowie aus Sicht des übernehmenden Unternehmens bereits eine Ausweitung der Funktion eine Funktionsverlagerung auslösen können. Darüber hinaus sind auch bewertungsrelevante Aspekte neu strukturiert, wie beispielsweise die explizite Aufnahme der Berücksichtigung von Steuereffekten bei der Bestimmung des Einigungsbereichs des Transferpakets, die bislang mangels gesetzlicher Grundlage nur Verwaltungsauffassung war. Bedauerlicherweise wurden auch viele exemplarische Aufzählungen von Sachverhalten, die keine Funktionsverlagerung darstellen, wie etwa bloße Veräußerungen von Wirtschaftsgütern, Personalentsendungen, Dienstleistungen oder Sachverhalte, die unter fremden Dritten keine Funktionsverlagerung darstellen, größtenteils ersatzlos gestrichen. Obwohl seitens des Gesetzgebers laut der Begründung der Verordnung hiermit keine Verschärfung, sondern lediglich eine Entschlackung der Vorschriften geplant war, kann davon ausgegangen werden, dass der Entfall der expliziten Aufzählung von Ausnahmefällen in der Betriebsprüfungspraxis zu weiteren Diskussionen führen wird. Ebenfalls entfallen ist ein Paragraf, wonach auf Antrag des Steuerpflichtigen von einer Nutzungsüberlassung auszugehen ist, wenn Zweifel bestehen, ob hinsichtlich des Transferpakets oder einzelner Teile eine Übertragung oder eine Nutzungsüberlassung anzunehmen ist. Dies kann für den Steuerpflichtigen, insbesondere bei im Nachhinein aufgedeckten Funktionsverlagerungen, praktische Relevanz entfalten. Schließlich beinhaltet die aktualisierte FVerlV auch gestiegene Anforderungen an die Beweislast für den Steuerpflichtigen. Während bisher zur Erfüllung bestimmter Voraussetzungen eine Glaubhaftmachung gefordert war, wurden nun stellenweise weitreichendere Nachweispflichten zulasten des Steuerpflichtigen eingeführt, wie etwa im Zusammenhang mit Kapitalisierungszeitraum oder bei Schadenersatz-, Entschädigungs- und Ausgleichsansprüchen.
Zusammenfassend ist entgegen der Zielsetzung des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) beziehungsweise der Regierung festzustellen, dass die neue FVerlV im Detail Verschärfungen enthält und auch Auswirkungen auf die Rechtssicherheit des Steuerpflichtigen wegen einer rückwirkenden Anwendung der neuen FVerlV nicht auszuschließen sind. Durch die neue FVerlV ist zukünftig von einer vermehrten Anwendung der Regelungen auszugehen sowie von einer Zunahme kontroverser Diskussionen bei Betriebsprüfungen.

Verwaltungsgrundsätze Verrechnungspreise 2023

Bei der praktischen Ausgestaltung und Interpretation der eben beschriebenen steuerrechtlichen Vorschriften für Funktionsverlagerungen spielt das BMF eine entscheidende Rolle. Im Juni 2023 veröffentlichte das BMF die Verwaltungsgrundsätze Verrechnungspreise 2023. In diesem Schreiben wurde auch die aktuelle Verwaltungsmeinung zur Anwendung der Vorschriften über Funktionsverlagerungen als Reaktion auf die neu gefasste FVerlV und die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur grenzüberschreitenden Konzernfinanzierung integriert, welche die Verwaltungsgrundsätze Funktionsverlagerung aus dem Jahr 2010 ersetzen. Diese Verwaltungsgrundsätze sind besonders relevant, da sie die Anwendung der gesetzlichen Regelungen und der FVerlV in der Steuerpraxis für die Verwaltung, nicht jedoch für Steuerpflichtige, verbindlich konkretisieren. Ausgewählte Änderungen in Bezug auf Funktionsverlagerungen dieser Verwaltungsgrundsätze sind:

  • Keine Bagatellgrenze, nach der keine Funktionsverlagerung vorliegt, solange ein Umsatzrückgang des übertragenden Unternehmens nach Umstrukturierung in den Folgejahren unter 1 Million Euro liegt.
  • Eine Funktionsverlagerung ist auch in Fällen der Substitution einer Funktion (sogar einzelner Produkte) durch eine andere Funktion möglich.
  • Praxisrelevante Aussagen, wann keine Funktionsverlagerung vorliegt (Negativabgrenzungen, wie zentrale, optimierte Steuerung der Produktion oder fristgerechte Kündigung von Verträgen), sind entfallen.
  • Das DEMPE-Konzept (Development, Enhancement, Maintenance, Protection und Exploitation) wird aufgenommen und auch Personalentsendungen sind in diesem Zusammenhang genauer zu prüfen, ob sie eventuell eine Funktionsverlagerung auslösen.
  • Einführung von Kündigungswahrscheinlichkeiten bei Funktionsabschmelzungen.

Aus dieser nicht vollständigen Liste ist ersichtlich, dass sich auch in den Verwaltungsgrundsätzen Verrechnungspreise 2023 einige Verschärfungen finden, die für Steuerpflichtige zu einem beachtlichen Mehraufwand in der Dokumentation und Bewertung führen werden.

Fazit und Handlungsempfehlungen

Das Thema der Funktionsverlagerungen ist schon jetzt sehr streitanfällig, wie die Urteile der Finanzgerichte München (vom 26.11.2019 – 6 K 1918/16) und Niedersachsen (vom 16.03.2023 – 10 K 310/19) zeigen. Es ist zu erwarten, dass das Thema äußerst relevant und komplex bleiben wird. Der Gesetzgeber hat mit seinen Änderungen dafür gesorgt, dass mehr Sachverhalte die definitorischen Voraussetzungen einer Funktionsverlagerung dem Grunde nach erfüllen werden. Durch den Wegfall der Bagatellregeln und Einschmelzung der Escape-Klauseln auf eine einzige wird es zusätzlich zu einem Anstieg an Transferpaketbewertungen kommen. Dies erfolgt vor dem Hintergrund, dass in der Mehrzahl der nun zusätzlich betroffenen Fälle keine wesentlichen Werte von den Verlagerungen betroffen sind. Durch die gestiegenen Kostenstrukturen in Deutschland ist es für manche Konzerne wirtschaftlich schlicht nicht mehr sinnvoll, gewisse Funktionen fortzuführen. Sollten Verlagerungen nun mit großen steuerlichen Risiken verbunden sein, könnte gar die Aufgabe einiger Bereiche durch die Unternehmen drohen. Nachdem nachfolgend zu den gesetzlichen Änderungen im Bereich der Funktionsverlagerungen auch das sogenannte DAC7-Umsetzungsgesetz zu mehr Bürokratie für die Unternehmen im Bereich der Verrechnungspreise geführt hat, ist die Grundtendenz des Gesetzgebers, in diesem Bereich weiter zu regulieren, ungebrochen. Unternehmen sollten die Regelungen im Bereich der Funktionsverlagerungen aber keinesfalls ignorieren, sondern pragmatisch die Sachverhalte einschätzen und im Zweifel auf möglichst einfache Art und Weise die notwendigen Bewertungen durchführen. Eine alternative Herangehensweise, um Risiken in diesem Bereich zu beschränken, ist leider nicht erkennbar.

Zu den Autoren

AR
Andreas Riedl

Partner bei der WTS Group in Frankfurt am Main. Seine fachlichen Schwerpunkte sind die Beratung bei Verrechnungspreisen, die Betreuung von Unternehmen bei steuerlichen Betriebsprüfungen sowie die Bewertung von immateriellen Vermögenswerten.

Weitere Artikel des Autors
BH
Björn Heunisch

Director bei der WTS Group in Frankfurt am Main. Seine fachlichen Schwerpunkte sind die Betreuung von Großkonzernen im Bereich Controversy [Betriebsprüfungen, Verständigungs- und Vorabverständigungsverfahren (APA)], die Verrechnungspreisberatung bei Restrukturierungsprojekten sowie Unternehmensbewertungen im Zusammenhang mit Funktionsverlagerungen.

Weitere Artikel des Autors