Umsatzsteuer - 29. August 2024

Ausnahmen bestätigen die Regel

Der Aussteller einer Rechnung schuldet nicht in jedem Fall eines fehlerhaften Steuerausweises die in Rechnung gestellte Steuer.

Bei fehlender Gefährdung des Steueraufkommens oder beim Vorliegen von Gutgläubigkeit besteht keine Berichtigungspflicht nach § 14c Umsatzsteuergesetz (UStG). Das bedeutet, dass keine Mehrsteuer trotz des hohen Steuerausweises in den Rechnungen entsteht, sondern nur die gesetzlich geschuldete Steuer. Einer Rechnungsberichtigung bedarf es nicht. Die Finanzverwaltung hat diesbezüglich ihre Sichtweise unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) beziehungsweise des Bundesfinanzhofs (BFH) in einem aktuellen Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) etwas präzisiert.

Hintergrund

Weist ein Unternehmer in seiner Rechnung für eine Lieferung oder sonstige Leistung einen höheren Steuerbetrag, als er nach diesem Gesetz für den Umsatz schuldet, gesondert aus (unrichtiger Steuerausweis), schuldet er gemäß § 14c Abs. 1 S. 1 UStG auch den Mehrbetrag. Berichtigt er den Steuerbetrag gegenüber der Leistungsempfängerin oder dem Leistungsempfänger, ist § 17 Abs. 1 UStG entsprechend anzuwenden (§ 14c Abs. 1 S. 2 UStG). Unionsrechtlich beruht dies auf Art. 203 der Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie (MwStSystRL), wonach jede Person, die Mehrwertsteuer in einer Rechnung ausweist, diese auch schuldet.

Rechtsprechung

Der BFH hat mit seinem Urteil vom 13. Dezember 2018 (V R 4/18) entschieden, dass die Steuerschuld nach § 14c Abs. 1 UStG auch bei einer Rechnungserteilung an Nichtunternehmer entsteht. Abweichend hiervon entschied der EuGH in derRechtssache P GmbH (EuGH-Urteil vom 08.12.2022 – C-378/21, Finanzamt Österreich), dass ein Rechnungsaussteller die zu hoch ausgewiesene Umsatzsteuer nicht schuldet, wenn er die Rechnungen ausschließlich an nicht zum Vorsteuerabzug berechtigte Endverbraucher ausgestellt hat. Der Sinn und Zweck von Art. 203 MwStSystRL ist, einer Gefährdung des Steueraufkommens durch den unrichtigen oder unberechtigten Steuerausweis entgegenzuwirken. Wenn aber die Gefahr eines zu Unrecht geltend gemachten Vorsteuerabzugs nicht vorliegt, weil die Rechnungsempfänger von vornherein nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sind, besteht auch keine abstrakte Gefährdung für das Steueraufkommen. Eine Steuerschuld nach Art. 203 MwStSystRL scheidet dann aus. Daher ist auch eine Berichtigung der Rechnungen oder die Rückzahlung des zu viel vereinnahmten Steuerbetrags nicht erforderlich.

Entscheidung des FG Köln

Das Finanzgericht (FG) Köln folgt insoweit den Grundsätzen der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache P GmbH. Dabei rechnete der Steuerpflichtige als Klägerin aufgrund einer verbindlichen Auskunft des Finanzamts teilweise Postzustellungsaufträge (PZA-Leistungen) – entgegen ihrer eigenen rechtlichen Sichtweise – mit gesondertem Umsatzsteuerausweis in den Rechnungen an ihre Kunden ab. Bei den PZA-Leistungen handelte es sich um förmliche Zustellungen als Post-Universaldienstleistung nach § 4 Nr. 11b UStG. Später erkannte das Finanzamt einen Teil dieser PZA-Leistungen als steuerbefreit an und setzte insoweit die Umsatzsteuer nach § 14c Abs. 1 UStG fest. Die Klägerin erbrachte ihre Leistungen weit überwiegend an Kunden, die nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sind, wie etwa Verwaltungsbehörden, Gerichte oder Unternehmer (Schiedspersonen), die unter § 4 Nr. 26 UStG fallen. Lediglich eine sehr geringe Zahl an Leistungen, für die ein gesonderter Steuerausweis in den Rechnungen erfolgte, erbrachte die Klägerin an vorsteuerabzugsberechtigte Kunden. Die Klägerin berief sich unmittelbar auf das Unionsrecht und trug vor, dass ihr ein Erstattungsanspruch zustehe. Zum einen gäbe es in den meisten Fällen keine Steuergefährdung und zum anderen habe sie gutgläubig gehandelt. Nach Auffassung des FG Köln sei die Klage begründet und die PZA-Leistungen seien nach § 4 Nr. 11b UStG steuerbefreit (FG Köln, Urteil vom 25.07.2023 – 8 K 2452/21, nicht rechtskräftig, da die Revision beim BFH unter Az. BFH – V R 16/23 anhängig ist). Soweit die Klägerin die steuerbefreiten Leistungen mit Umsatzsteuerausweis abgerechnet hat, führt dies nicht zu einer Steuerschuld nach § 14c UStG bzw. Art. 203 MwStSystRL. Der Aussteller der Rechnung muss daher in diesen Fällen weder die Rechnung berichtigen noch den zu viel vereinnahmten Steuerbetrag an den Rechnungsempfänger zurückzahlen. Auch entschied das FG Köln, dass beim Rechnungsaussteller keine Berichtigungspflicht nach § 14c UStG bei fehlender Gefährdung des Steueraufkommens oder beim Vorliegen von Gutgläubigkeit bestehe. Das FG Köln bezog sich vor allem auf die oben genannte EuGH-Rechtsprechung und wendete das Unionsrecht unmittelbar zugunsten des Steuerpflichtigen an. Nach Auffassung des FG Köln kommen § 14c Abs. 1 UStG beziehungsweise Art. 203 MwStSystRL nicht zur Anwendung, wenn das Steueraufkommen nicht gefährdet ist. Dass – anders als in dem vom EuGH entschiedenen Fall – die Rechnungsempfänger keine Privatpersonen waren, sondern andere Personen, die nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sind, rechtfertigt nach Auffassung des FG Köln kein anderes Ergebnis. Das FG Köln stellt bei Rechnungsempfängern nicht nur auf Endverbraucher ab, sondern auch auf alle Personen, die nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sind.

Leitsätze des FG-Urteils

Eine Steuerschuld nach § 14c UStG kann nicht entstehen, wenn feststeht, dass durch den unberechtigten oder unrichtigen Steuerausweis in einer Rechnung keine Steuergefährdung eintreten kann. Der Aussteller der Rechnung muss daher in diesen Fällen weder die Rechnung berichtigen noch den zu viel vereinnahmten Steuerbetrag an den Rechnungsempfänger zurückzahlen. Eine Gefährdung des Steueraufkommens ist ausgeschlossen, wenn Rechnungsempfänger Privatpersonen sind oder andere Personen, die nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sind.
Insbesondere, wenn eine Korrektur faktisch nicht möglich ist, weil dem Rechnungsaussteller die Rechnungsadressaten namentlich nicht bekannt sind, ist auf der Grundlage des Grundsatzes der Neutralität der Mehrwertsteuer die Vorschrift des Art. 203 MwStSystRL so auszulegen, dass die Berichtigung der Steuerschuld eines nachweislich gutgläubigen Rechnungsausstellers nicht von der Korrektur seiner unrichtigen Rechnungen und der Rückzahlung des zu viel vereinnahmten Steuerbetrags abhängt.

Stellungnahme der Finanzverwaltung

Nun äußert sich das BMF in seinem aktuellen Schreiben (27.02.2024 – III C 2-S 7282/19/10001:002) zu den steuerrechtlichen Folgen aus den Urteilen des BFH (13.12.2018 – V R 4/18) und des EuGH (08.12.2022 – C-378/21). Nach Auffassung des BMF sei die BFH-Entscheidung durch das EuGH-Urteil überholt und insoweit nicht über den entschiedenen Einzelfall hinaus anzuwenden. Das BMF und damit die Finanzverwaltung schließt sich der Auffassung des EuGH an. Nach § 14c Abs. 1 UStG entsteht keine Steuer. Voraussetzung dafür ist zum einen, dass ein Unternehmer eine Leistung tatsächlich ausgeführt hat, und zum anderen, dass der Leistungsempfänger ein Endverbraucher ist. Darunter fallen Nichtunternehmer, insbesondere Privatpersonen, sowie Unternehmer, die nicht als solche handeln, also Unternehmer bei Leistungsbezug für ihren privaten Bereich oder für eine nichtwirtschaftliche Tätigkeit im engeren Sinne. Das EuGH-Urteil kann daher nicht auf Fälle übertragen werden, in denen die fragliche Rechnung an einen Unternehmer für dessen unternehmerischen Bereich erteilt worden ist. Dabei ist es für die Entstehung der Steuerschuld nach § 14c UStG nicht ausschlaggebend, ob und gegebenenfalls inwieweit tatsächlich ein Vorsteuerabzug vorgenommen worden ist. Daher entsteht die Steuer nach § 14c UStG auch dann, wenn die Rechnung zum Beispiel an einen Kleinunternehmer, einen pauschalierenden Land- und Forstwirt oder einen Unternehmer mit Ausgangsumsätzen, die den Vorsteuerabzug ganz oder teilweise ausschließen, erteilt worden ist. Soweit nach den Grundsätzen des EuGH-Urteils aufgrund einer Rechnungserteilung an Endverbraucher beide Voraussetzungen vorliegen und damit keine Steuer nach § 14c UStG entstanden ist, bedarf es aus umsatzsteuerlicher Sicht auch keiner Berichtigung des fraglichen Steuerbetrags. Nicht betroffen von dieser geänderten Auffassung der Finanzverwaltung sind allerdings die Fälle, in denen tatsächlich keine Leistung ausgeführt wurde oder der Rechnungsaussteller kein Unternehmer ist.

Eigene Einordnung

Das BMF-Schreiben legt die EuGH-Rechtsprechung sehr eng aus, denn die Finanzverwaltung übernimmt nur die Grundsätze des oben genannten EuGH-Urteils, wenn Leistungen ausdrücklich an Endverbraucher erbracht werden. Danach kann der Unternehmer die Grundsätze des EuGH-Urteils nur bezüglich der belegten Rechnungserteilungen an Endverbraucher anwenden. Das Urteil des FG Köln sieht es aber nicht so eng und erweitert – berechtigterweise – erheblich den Anwendungsbereich, indem es den Anwendungsbereich über Endverbraucher hinaus auf andere Personen einschließt, die wie Endverbraucher nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sind.

Fazit

Dem Urteil des FG Köln ist vollumfänglich zuzustimmen, da es unionsrechtlich keinen Unterschied wegen der Grundsätze der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache P GmbH macht, ob Rechnungsempfänger Endverbraucher oder andere Personen sind, die wie Endverbraucher nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sind. In Fällen der fehlenden Steuergefährdung oder bei Gutgläubigkeit ist keine Korrekturhandlung des Rechnungsausstellers erforderlich. Die damit im Regelfall verbundenen Maßnahmen wie Rechnungskorrektur und Rückzahlung entfallen somit. Denjenigen Unternehmern, die die Umsatzsteuer abgeführt haben, stehen die Erstattungsansprüche zu. In offenen Verfahren ist die Finanzverwaltung auf das noch nicht rechtskräftige Urteil des FG Köln hinzuweisen. Auch beim Einlegen der Rechtsmittel gegen einschlägige Steuerbescheide ist das Urteil des FG Köln als zusätzliches Argument unbedingt in Erwägung zu ziehen. Allerdings ist zu erwarten, dass die Finanzverwaltung das Urteil des FG Köln mit dem Hinweis auf dessen fehlende Rechtskraft nicht anerkennen wird. Es sind daher unbedingt Anträge nach § 363 Abgabenordnung (AO) auf das Ruhen der einschlägigen Verfahren bis zur Entscheidung des BFH in Fällen der Einspruchsverfahren zu stellen. Abzuwarten ist daher die Entscheidung des V. Senats des BFH (Az. V R 16/23) im anhängigen Revisionsverfahren. Das BMF-Schreiben bindet mangels dessen Gesetzeswirkung nur die Finanzverwaltung selbst und nicht die Steuerpflichtigen und die Finanzgerichte.

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Zum Autor

Konstantin Weber

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Steuerrecht, Inhaber der WEBER RECHT & STEUERN Kanzlei mit Standorten in Karlsruhe und Baden-Baden; Seine Tätigkeitsschwerpunkte sind Umsatzsteuerrecht, Steuerstrafrecht und Steuerstreitrecht (Einspruchs- und Finanzgerichtsverfahren)

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