Die Umsatzsteuer eignet sich in besonderem Maße für Hinterziehungsdelikte. Die Täter agieren zumeist mit Karussellgeschäften oder Umsatzsteuerketten.
Unser Alltag ist durchdrungen von Lieferungen und Leistungen und damit auch von Steuergesetzen. Die wichtigste Steuerart – sowohl für den Fiskus als auch für den Unternehmer – ist die Umsatzsteuer. Bei dieser allgemeinen Verbrauchssteuer wird lediglich der Endverbraucher belastet. Der Unternehmer kann die Steuer daher auf seine Leistungsempfänger abwälzen. Stellt ein Unternehmer einem anderen Unternehmer Umsatzsteuer in Rechnung, so kann dieser sich durch den sogenannten Vorsteuerabzug entlasten. Er bekommt dann die gezahlte Umsatzsteuer erstattet. Die Umsatzsteuer wird durch diesen Vorgang zum Endverbraucher durchgereicht.
Ausgangslage
Die beliebteste Form wirtschaftskrimineller Handlungen im Bereich des Umsatzsteuerrechts stellen die sogenannten Umsatzsteuerkarussellgeschäfte dar. Diese verursachen als eine Form des Umsatzsteuerbetrugs in der gesamten Europäischen Union (EU) jährlich Steuerausfälle in Milliardenhöhe (NJW-aktuell, 11/2010, S. 16; Gehm, Aktuelle strafrechtliche Aspekte beim Umsatzsteuerkarussell, StraFo, 11/2015, S. 441). Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in jüngster Vergangenheit die EU-Mitgliedstaaten zum energischen Einschreiten gegen entsprechende Betrugssysteme aufgefordert. Die nationalen Behörden und Gerichte sind verpflichtet, einem Steuerpflichtigen im Rahmen einer innergemeinschaftlichen Lieferung das Recht auf Vorsteuerabzug, auf Mehrwertsteuerbefreiung beziehungsweise Mehrwertsteuererstattung zu versagen, auch wenn das nationale Recht keine Bestimmungen enthält, die eine solche Versagung vorsehen. Dies gilt, sofern Folgendes anhand objektiver Umstände nachgewiesen ist: Der betroffene Steuerpflichtige wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich durch den Umsatz, auf den er sich zur Begründung des betreffenden Rechts beruft, an einer im Rahmen einer Lieferkette begangenen Mehrwertsteuerhinterziehung beteiligt hat (EuGH, Urt. v. 18.12.2014, C-131/13, Schoenimport „Italmoda“, EUGH-Az. C-163/13, 2. Leitsatz).
Risiko des Umsatzsteuersystems
Die Umsatzsteuer eignet sich aufgrund der Zweiteilung im Erhebungsverfahren ganz besonders für Hinterziehungsdelikte.
Die Umsatzsteuer eignet sich aufgrund der Zweiteilung im Erhebungsverfahren zwischen Steuerschuld und Vorsteuerabzug in besonderem Maße für Hinterziehungsdelikte. Das Erhebungssystem bewirkt, dass zur Besteuerung von Waren und Dienstleistungen jeweils alle Glieder der Unternehmerkette herangezogen werden, jeder einzelne Unternehmer aber nur die Steuer abführen muss, die auf seine Menge – den von ihm erwirtschafteten Mehrwert – entfällt. Das Recht zum Vorsteuerabzug ergibt sich aus § 15 Abs. 1 Umsatzsteuergesetz (UStG). Zu den formalen Voraussetzungen gehört, dass der steuerpflichtige Unternehmer eine steuerpflichtige Leistung und eine Rechnung mit Umsatzsteuerausweis hierüber erhalten hat. Keine Voraussetzung ist hingegen, dass der Unternehmer die erhaltene Rechnung auch bezahlt hat, und auch nicht, dass die ausgewiesene Umsatzsteuer auch tatsächlich an das Finanzamt abgeführt wurde. Der Bundesgerichtshof (BGH) beschreibt diese Situation sehr plastisch und als denkbar verwerflichste Form des Steuerbetrugs beziehungsweise der Steuerhinterziehung. Wenn der Täter steuermindernde Umstände vortäuscht, indem er nicht bestehende Vorsteuerbeträge geltend macht, unternimmt er einen Griff in die Kasse des Staats, weil die Tat zu einer Erstattung eines (tatsächlich nicht bestehenden) Steuerguthabens oder zum (scheinbaren) Erlöschen einer bestehenden Steuerforderung führen soll (BGH, Beschluss v. 15.12.2011, 1 StR 579/11 (LG Essen), 4. Leitsatz).
Umsatzsteuerkarussellgeschäfte
Im Allgemeinen werden Umsatzsteuerkarussellgeschäfte in einem weitverzweigten Netz von nationalen und europäischen Unternehmen betrieben. Oftmals werden einzelne Unternehmen nur kurzzeitig gegründet, um als Scheinlieferfirmem aufzutreten. Diese Firmen verschwinden innerhalb kürzester Zeit wieder aus dem Wirtschaftskreislauf. Die Wirkungsweise von Umsatzsteuerkarussellen besteht darin, dass mindestens drei Unternehmen eingeschaltet werden, von denen eines mit ordnungsgemäßen Voranmeldungen hohe Vorsteuerüberhänge erklärt. Die anderen Beteiligten geben teilweise unrichtige oder gar keine Voranmeldungen ab. Durch die Wiederholung dieses Kreislaufs erlangen die Täter eine mehrfache Erstattung der Vorsteuern, die teilweise genutzt wird, die Waren endgültig an fremde Dritte zu konkurrenzlos günstigen Preisen verkaufen zu können.
Fallbeispiel
Das erste Glied in der Kette ist ein inländisches Unternehmen A. Dieses liefert meist kleine, aber sehr hochpreisige Waren, wie etwa Spirituosen, an den ebenfalls im Inland ansässigen Unternehmer B. Anschließend veräußert B die Waren an den sich im EU-Ausland befindlichen Unternehmer C. Von C werden die Wirtschaftsgüter zurück an A geliefert. Der Kreislauf wird beliebig fortgesetzt. Die erste Lieferung von A an B ist eine steuerpflichtige Lieferung in Deutschland, für die der Empfänger B eine ordnungsgemäße Rechnung mit Ausweis von Umsatzsteuer erhält. Da die anschließende innergemeinschaftliche Lieferung von B an den im EU-Ausland ansässigen C steuerbefreit ist (§§ 4 Nr.1b, 6a UStG), erklärt B regelmäßig hohe Verlustüberhänge, die ihm erstattet werden (§ 15 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2, 3 Nr. 1a UStG). Die ebenfalls steuerfreie Rückveräußerung der Waren von C an A wird ordnungsgemäß erklärt. Der Gewinn der Beteiligten ergibt sich daraus, dass A die Lieferungen an B nicht in den Voranmeldungen erklärt und die entstandene Umsatzsteuer nicht abführt, während B sämtliche Vorsteuerbeträge vom Fiskus ausbezahlt werden.
Umsatzsteuerketten
Ein weiteres betrügerisches System im Bereich der Umsatzsteuer stellen die sogenannten Umsatzsteuerketten dar. Diese unterscheiden sich von Umsatzsteuerkarussellen lediglich dadurch, dass die Ware nicht an ihren Ausgangsort zurückkehrt und sich damit der Kreislauf nicht zu einem Karussell schließt. Die Gefahr dieser speziellen Form des wirtschaftsdelinquenten Verhaltens liegt damit nicht nur in der Steuerhinterziehung an sich, sondern vor allem im Schaffen einer parallelen Wirtschaftswelt mit den damit einhergehenden Strukturen von Einkaufskartellen und Monopolstellungen. Dementsprechend liegt ein doppelter volkswirtschaftlicher Schaden vor.
Steuerstrafrechtliche Einschätzung
Wird keine Ware geliefert beziehungsweise sonstige Leistung erbracht, ist zu beachten, dass der Vorsteuerbetrag nur aufgrund von Rechnungen geltend gemacht werden kann, denen tatsächlich ausgeführte Lieferungen zugrunde liegen. Wer trotz vorliegender Scheingeschäfte aus solchen Rechnungen Vorsteuer geltend macht, täuscht die Finanzverwaltung wiederum über steuererhebliche Tatsachen im Sinne des § 370 Abs.1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO). Hinsichtlich des Wissens beziehungsweise Wissenmüssens um die Einbringung in ein Umsatzsteuerbetrugssystem kommt es nach Ansicht des BGH darauf an, ob dieses subjektive Element, namentlich die Täuschung, bei Bezug der Leistung vorliegt. Das ist damit der maßgebliche Zeitpunkt. Eine spätere Bösgläubigkeit verhindert nicht die Berechtigung zur Geltendmachung von Vorsteuer und begründet somit keine Strafbarkeit nach § 370 AO (BGH, Beschluss v. 02.09.2015, 1 StR 239/15, BeckRS 2015). Auf die Frage, ob der Händler wissentlich oder unwissentlich an dem Umsatzsteuerkarussell teilgenommen hat, kommt es aber dann gar nicht mehr an. Rein strafprozessual ist die Tatfrage bei Fällen der Umsatzsteuerkarusselle recht simpel: Es geht meist lediglich um den Vorsatz der beteiligten Unternehmer. Aufgrund vielfältiger staatsanwaltschaftlicher Ermittlungsmaßnahmen, wie etwa Telefon- und Videoüberwachungen und oftmals sogar des Einsatzes von verdeckten Ermittlern, kann der objektive Tatnachweis relativ einfach geführt werden. Je verzweigter jedoch das internationale Firmennetz gesponnen wird, desto mehr verwischen die Grenzen zwischen Kenntnis und Kennenmüssen der Tatbeteiligten.
Rechte des Beschuldigten im Steuerstrafverfahren
Steuerpflichtige sind im Besteuerungsverfahren zur Mitwirkung verpflichtet, selbst wenn gegen sie ein Strafverfahren eingeleitet ist.
Interessant sind die teilweise divergierenden Rechte des Beschuldigten im Spannungsfeld zwischen Strafprozessrecht und Steuerrecht. Gemäß § 385 AO gelten für das Steuerstrafverfahren im Wesentlichen die allgemeinen Regeln des Strafprozessrechts, soweit sich aus den besonderen Vorschriften der AO nichts anderes ergibt. Der steuerpflichtige Beschuldigte bleibt trotz Einleitung des Strafverfahrens im Besteuerungsverfahren gemäß § 393 Abs. 1 AO grundsätzlich weiterhin zur Mitwirkung verpflichtet. Die Finanzbehörde kann zur Durchsetzung der bestehenden Mitwirkungspflichten im Besteuerungsverfahren jedoch keine Zwangsmittel anwenden, wozu sie grundsätzlich nach § 328 AO berechtigt wäre. Das gilt aber nur soweit, als der Beschuldigte durch die Mitwirkungspflicht gezwungen wäre, sich selbst zu belasten. Der Finanzbehörde ist es aber dennoch unbenommen, die Besteuerungsgrundlagen gemäß § 162 AO zu schätzen, da der Steuerpflichtige seiner Pflicht zur Mitwirkung im Besteuerungsverfahren nicht nachgekommen ist.
Tatsachen oder Beweismittel, die der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht in einem Strafverfahren aus den Steuerakten bekannt werden und die der Steuerpflichtige der Finanzbehörde vor Einleitung des Strafverfahrens oder in Unkenntnis der Einleitung des Strafverfahrens in Erfüllung steuerrechtlicher Pflichten offenbart hat, dürfen gemäß § 393 Abs. 2 AO nicht für die Verfolgung einer Tat verwendet werden, die keine Steuerstraftat ist. Dieses Verwertungsverbot ist auch auf Polizeibehörden anzuwenden, da die Staatsanwaltschaft die Norm ansonsten durch deren Betrauung mit den Ermittlungen umgehen könnte (Rogall, FS Kohlmann, S. 465, 487; Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 393, Stand: Dezember 2014, Rn. 130). Ein strafrechtliches Verwertungsverbot soll im Übrigen wohl auch dann bestehen, wenn die Behörde das Strafverfahren pflichtwidrig nicht einleitet, um die Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen weiter zwangsweise durchsetzen zu können (Rüping, Die Umsatzsteuer-Nachschau nach § 27 b UStG, S. 129; Bilsdorfer in: Praxis Steuerstrafrecht, 11/2001, S. 238).
Fazit
Die Spannung zwischen dem Besteuerungsverfahren und dem Steuerstrafverfahren liegt vor allem darin, dass der Steuerpflichtige im Besteuerungsverfahren und mit besonderer Ausprägung während der Außenprüfung sowie der Umsatzsteuer-Nachschau zur Mitwirkung verpflichtet ist und diese auch zwangsweise durch die Finanzbehörde durchgesetzt werden kann. Da dies aber dem strafrechtlichen Grundsatz, dass sich niemand selbst belasten muss, widerspricht, bleibt zwar die Mitwirkungspflicht formal auch dann bestehen, wenn zusätzlich zum Besteuerungsverfahren ein Strafverfahren eingeleitet ist. Dieses kann dann allerdings nicht mehr mit Zwangsmitteln durchgesetzt werden. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Mehr DAZU
MEHR DAZU
Fachliteratur zum Thema Umsatzsteuerhinterziehung:
Kompaktwissen für Berater: Beratungsanlass Steuerhinterziehung, 2. Auflage, Art.-Nr. 36448
Kompaktwissen für Berater: Die strafbefreiende Selbstanzeige, Art.-Nr. 36881
Mandanten-Info-Broschüre: Mandantenschutz im Steuerstrafrecht, Art.-Nr. 32334
Mandanten-Info-Karte: Mandantenschutz im Steuerstrafrecht, Art.-Nr. 31132
Fachseminar online
„Besonders schwere Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 3 AO“, Risiken und Gefahren in komplexen Steuerstrafverfahren, Art.-Nr. 76846, Buchung unter: www.telelex.de, Termin: 8. Dezember 2016
Dialogseminare online der TeleTax:
Der Gastwirt zwischen Betriebsprüfung und Steuerfahndung, Art.-Nr. 76464
Steuerfahndung – das Wichtigste aus Sicht des Steuerberaters, Art.-Nr. 76463