Kanzleinetzwerke - 30. Mai 2024

Arbeiten im Verbund

Welche Auswirkungen hat der Zusammenschluss in einem Netzwerk oder Kanzleiverbund auf die tägliche Arbeit? Worin liegen hier die Vorteile gegenüber Einzelkanzleien? Ein Erfahrungsbericht.

Steuerberaterinnen und Steuerberater haben schwere Jahre hinter sich. Corona-Wirtschaftshilfen, Grundsteuer, Kurzarbeitergeld und andere Aufgaben sorgen weiterhin für Aus- beziehungsweise Überlastung. Auch die künftige Entwicklung ist anspruchsvoll: E-Rechnungspflicht (B2BUmsätze) mit Anforderungen an die Steuerberater, Wachstumschancengesetz (Mitteilungspflichten), Digitalisierungsdruck und Fachkräftegewinnung. Für viele Kanzleien hatten die vergangenen drei Jahre Folgen, die heute spürbar sind, weil Kanzlei- und Personalentwicklung liegengeblieben sind und man all das jetzt nachholen muss. Und so stellt sich die Frage, ob diese Arbeitsbelastung für Berater in einem Netzwerk oder Kanzleiverbund genauso dramatisch war wie bei kleinen und mittleren Kanzleien. Oder kommen hier Vorteile und mögliche Synergien zum Tragen, die gerade die Vorzüge eines Kanzleinetzwerks deutlich machen?

Entwicklung in der Branche

Ein Blick in die Berufsstatistik der Bundessteuerberaterkammer zeigt eine nachhaltige Entwicklung hin zum Netzwerk. Auch die aktuellen Zahlen aus der Berufsstatistik 2023 verdeutlichen: „Die Quote der selbstständigen Steuerberaterinnen ist weiterhin leicht rückläufig und liegt somit bei 67,3 Prozent. Im Gegensatz dazu steigt die Quote der angestellten Berufsträgerinnen mit 32,7 Prozent leicht an. […] Die Anzahl der anerkannten Berufsausübungsgesellschaften steigt von 11.277 auf 13.143 um 16,5 Prozent.“ Was steckt hinter diesem Trend?

Vorteile in besonderen Situationen

Zu Beginn der Corona-Pandemie standen wir, wie die gesamte Branche, vor der großen Herausforderung, unsere Mitarbeiter zu schützen und trotzdem unsere Mandate bestmöglich durch diese anspruchsvolle Zeit zu begleiten. In den meisten Kanzleien war Homeoffice bis dahin weitgehend unbekannt und alles andere als die Regel. Hier konnten wir als Gruppe schnell reagieren und mit unserer IT-und Personalabteilung kurzfristig ein funktionierendes und (rechts-)sicheres Konzept zur mobilen Arbeit auf die Beine stellen. In unserer Kanzlei in Hof hat sich das Homeoffice dank der positiven Erfahrungen seitdem etabliert und zwei Tage mobile Arbeit pro Woche sind der Standard.

Einfache Vertretung dank neuer Möglichkeiten

Doch es braucht nicht erst eine Krise, um die Vorteile eines guten Netzwerks oder einer größeren Kanzlei zu erkennen. Es beginnt schon bei vermeintlich einfachen Themen wie der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Der Anteil der weiblichen Berufsträger steigt weiter und viele Eltern wünschen sich eine faire Aufteilung der Erziehungsarbeit zwischen beiden Partnern. Um das zu realisieren, müssen Führungsstrukturen neu gedacht werden. Hier haben sich Führungsteams aus mehreren Berufsträgern bewährt. Dann kommt es aber besonders auf gute Kommunikation an – gerade wenn jemand in Teilzeit führt. Aber auch bei ungeplanten Ausfällen, ob durch Krankheit, Pflege von Angehörigen oder Todesfälle, lässt sich innerhalb des Netzwerks dank der technischen Voraussetzungen und einheitlicher Bearbeitungsprozesse in relativ kurzer Zeit eine Vertretungslösung organisieren.

Austausch von Wissen

Unser Ziel als Gruppe ist es, Dinge einmal anzugehen, um die Lösungen dann flächendeckend anzuwenden. Ganz nach dem Motto: Einmal gedacht – vielfach gemacht. Für die Bewältigung der Grundsteuerreform und die Antragstellung der Corona-Förderprogramme wurden Kompetenzen gebündelt und die Suche nach der passenden Software-Lösung, Erstellung von Arbeitshilfen oder Aufbereitung der Rechtsprechung von zentralen Ansprechpartnern geleistet. Für die Prozesse innerhalb der Kanzlei und beim Mandanten und die optimale Nutzung von Schnittstellen bilden wir in jeder Kanzlei Prozess- und Organisationsbeauftragte aus. Sie tauschen Erfahrungen innerhalb des Netzwerks aus und sind Ansprechpartner für die Kollegen vor Ort. So lassen sich Digitalisierungsmaßnahmen in den Kanzleien fördern und nachhaltig umsetzen.

Gemeinsame Aus- und Fortbildung

Neben der Digitalisierung ist eines der drängendsten Probleme unserer Branche die Nachwuchsgewinnung. Es wird immer schwerer, offene Stellen und Ausbildungsplätze mit geeigneten Kandidaten zu besetzen. Die Ecovis Akademie erstellt deshalb ein umfangreiches Seminarangebot mit unterschiedlichen Lernformaten. So sind wir in der Lage, unseren Suchradius zu erweitern und auch Quereinsteiger aus anderen Bereichen für die Arbeit in einer Steuerberatungskanzlei fit zu machen. Für unsere Auszubildenden stellt die Akademie ergänzend zur Berufsschule ein umfassendes Schulungsprogramm, beginnend mit einer Einführungsveranstaltung zum persönlichen Kennenlernen, zur Verfügung. Hier wird schon in den ersten Wochen der Ausbildung der Grundstein für den späteren Austausch zwischen den Kanzleien gelegt.

Bündelung von Kompetenzen

Die Lohn- und Gehaltsabrechnung gehört wahrscheinlich zu den sensibelsten Leistungen, die wir als Steuerberater für unsere Mandanten erbringen. Die Abrechnung muss 100 Prozent korrekt und termingerecht funktionieren und die Mitarbeiter müssen über jede Gesetzesänderung informiert sein. Bei akutem Personalmangel fehlen oft die Kapazitäten für die vollständige Vertretung und wenn es dann zu Ausfällen kommt, ist das Chaos perfekt. Aus diesem Grund haben wir Lohnzentren gebildet, die die Lohnabrechnung für die übrigen Kanzleien anbieten. So können wir die Bearbeitung der Aufträge und die Weiterbildung der Mitarbeiter sicherstellen und den Druck aus den übrigen Kanzleien nehmen, ohne Gefahr zu laufen, Mandate an externe Berater zu verlieren. Ähnlich handhaben wir auch komplexe fachliche Fragestellungen und Beratungsaufträge. Um den Zeitaufwand für aufwendige Recherchen zu minimieren, haben wir Fachabteilungen, die diese Arbeit für uns übernehmen können. So kann sich jeder auf seine Stärken konzentrieren. Bei umfangreichen Umstrukturierungen und Unternehmens- und Vermögensnachfolgen können wir auf erfahrene Berufskollegen zurückgreifen und interdisziplinäre Lösungen anbieten. Damit sind wir in der Lage, gemeinsam auch große Mandate zu bearbeiten, die wir sonst womöglich ablehnen müssten.

Innovation und Kreativität

Und doch ist die Sicherheit des Netzwerks alleine keine Garantie für Erfolg. Als Kanzleileiter müssen wir trotzdem kreativ bleiben und nach innovativen Lösungen suchen, um die vorhandenen Ressourcen ideal auszuschöpfen. Ein wichtiger Punkt ist die weitere Digitalisierung der Mandate und der kluge Einsatz von Software. Aber auch die Einstellung branchenfremden Personals ist eine Möglichkeit. Ein gelungenes Beispiel ist ein Mitarbeiter ohne steuerliche Vorbildung, mit dem gemeinsam eine Stelle so entwickelt wurde, dass in den vergangenen Jahren viele Sonderprojekte und Teile des Kanzlei-Controllings dort zusammenlaufen konnten. Ergänzend haben wir damit begonnen, Verwaltungstätigkeiten bei unseren Teamassistentinnen zu bündeln und Fokuszeiten für konzentrierte Arbeit zu schaffen. So sind wir in der Lage, die Kapazitäten unserer fachlichen Mitarbeiter bestmöglich zu nutzen.

Nicht alle Gruppen sind weise

Um schnell auf Entwicklungen in der Branche reagieren zu können, müssen wir auch als Gruppe flexibel und agil bleiben. Gleichzeitig aber müssen die Mitglieder der Gruppe in wichtige Entscheidungen eingebunden werden. So besteht die größte Herausforderung eines Netzwerks darin, groß, aber nicht träge zu werden. Auch der Umgang mit Konflikten in Gruppen darf nicht unterschätzt werden. Eine offene Gesprächskultur und ein sachlicher Umgang mit Kritik sind Voraussetzung für den dauerhaften Erfolg. Hier ist es wichtig, dass das eingesetzte Führungsgremium diese Flexibilität vorlebt und aktive Mitwirkung einfordern kann.

Globalisierung und Digitalisierung

Immer mehr Lieferketten und Märkte sind international ausgerichtet. Daher erwarten viele Mandanten mit internationalen Geschäftsbeziehungen eine steuerliche Beratung aus einer Hand. Da die nationalen Regelungen zu multinationalen Geschäftsvorfällen aber in vielen Ländern unterschiedlich sind, ist es unabdingbar, daraus entstehende Anforderungen für den Mandanten insoweit koordinieren zu können. Dies funktioniert natürlich besser in einem Netzwerk als in einer kleinen, mittleren oder Einzelkanzlei. Für die Branche der steuerlichen Berater führt die Digitalisierung zu dem größten Umbruch überhaupt. Die Umsetzung steuerlicher Tools beim Mandanten sowie die kanzleiinterne Digitalisierung von Prozessen und Abläufen sind alternativlos, stellen viele Kanzleien aber vor immense Herausforderungen. Künftig werden auch Assistenten, die auf künstlicher Intelligenz basieren, die steuerliche Beratung ergänzen. Auch die daraus entstehenden Anforderungen können in einem Netzwerk leichter erfüllt werden als in einer kleinen Kanzlei.

Fazit

Schon heute kommen die wenigsten Berufsträger mit eigener Kanzlei ohne umfangreiche Kontakte aus. Mit der Gründung von Kanzleiverbünden oder dem Anschluss an bestehende Netzwerke werden Beziehungen gefestigt und einem gemeinsamen Ziel unterstellt. Aus meiner Sicht überwiegen die Vorteile im Netzwerk die Autonomie in der Einzelkanzlei und sind das zukunftsfähigere Arbeitsmodell.

MEHR DAZU

Arbeitskreis vor Ort „Management-Herausforderungen gemeinsam lösen

Zur Autorin

TG
Teresa Geisler

Steuerberaterin bei Ecovis in Hof

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