Fachkräfte gewinnen - 30. Mai 2024

Ausbilden statt Ausspannen

Es gibt derzeit keinen Königsweg, dem Fachkräftemangel wirksam zu begegnen. So ungleich sich die regionalen Bedingungen vor Ort darstellen, so unterschiedlich die einzelnen Kanzleien aufgestellt sind, so verschieden sind auch die Wege raus aus der Misere. Doch eines zeigt sich dabei immer deutlicher: Wer ausbildet, gewinnt Fachkräfte und stärkt den Berufsstand. Im Gespräch erörtert Steuerberater Steffen Hort, warum es so wichtig ist, selbst auszubilden, und verrät, was es bringt, dabei auf eine eigene Akademie zu setzen.

Die 1952 als Ein-Mann-Praxis in Karlsruhe gegründete Kanzlei Maisenbacher Hort und Partner (MHP) mit Sitz in Karlsruhe und einer Niederlassung in Baden-Baden beschäftigt heute rund 115 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Tendenz steigend. Sie versteht sich als moderner Dienstleister mit eigener Rechtsabteilung, eigener IT-Abteilung und einem gut organisierten Kanzleimanagement, der durchaus weiterwachsen möchte. Diese Voraussetzungen sind wichtig, wenn vom Fachkräftemangel die Rede ist. Denn sie ermöglichen eine andere Herangehensweise bei der Personalsuche, als sie beispielsweise kleinere Kanzleien wählen. Steffen Hort beschreibt die Situation für den Berufsstand insgesamt als dramatisch: „Wenn die Babyboomer demnächst alle in Rente gehen, wird sich das noch verschärfen. Schon heute sind viele Kanzleien unterbesetzt und finden keine geeigneten Mitarbeiter. Zudem müssen Mandatskapazitäten abgebaut werden, das heißt, es werden Mandate gekündigt oder keine neuen angenommen. Das verschärft den Markt der Suchenden. Wir steuern auf einen Anbietermangel zu. Nicht weil wir zu wenig Steuerberater haben, sondern weil wir insgesamt über zu wenig Kapazitäten verfügen.“
Der demografische Wandel wird oft als Grund dafür angeführt, dass nahezu allen Branchen die Fachkräfte ausgehen. Zum Teil sei die Krise in der Steuerberatungsbranche auch selbst gemacht, glaubt zumindest Steffen Hort: „Ich habe mir die Ausbildungszahlen der letzten zehn Jahre einmal näher angesehen und festgestellt, dass sie sich kaum verändert haben. Wir hatten 2013 genauso viele Auszubildende wie 2023. Und das in einer Situation, in der viele in Rente gehen werden und wir geburtenschwache Jahrgänge haben. Dieses Thema ist über fünf Jahre alt und ich sehe leider immer noch zu wenige Kanzleien, die ausbilden. Dies verschärft die Situation zusehends.“

Selbst ausbilden

Stichwort Ausbildung. Mittlerweile hat es sich überall herumgesprochen, dass ein effektiver Weg, geeignetes Personal für eine Kanzlei zu finden, darin besteht, dieses auch gleich selbst auszubilden. Auf der anderen Seite sehen wir aber kaum Zuwächse bei den Auszubildenden im Steuerfach. Warum ist das so? „Das liegt zum einen an der Größe der Kanzlei“, meint Steffen Hort. „Ich verstehe es, wenn eine kleine Kanzlei sagt, dass sie nicht über die notwendigen Ressourcen verfügt, um auszubilden. Auf der anderen Seite kostet es aber auch nicht viel Geld, es zu tun, sondern nur Zeit. Und wenn man die Personen gut anlernt und ein Konzept hat, dann sind sie innerhalb kürzester Zeit wertvolle Fibu-Mitarbeiter mit Potenzial für mehr.“ Neben dieser fehlenden Bereitschaft, die Verantwortung für eine Ausbildung zu übernehmen, nennt Steffen Hort die mangelnde Attraktivität des Berufsstands als einen weiteren Grund für den fehlenden Nachschub an Fachkräften. Hier sieht er neben dem Berufsstand auch die Schulen im Land in der Pflicht, die Berufe rund um die Steuerberatung wieder sichtbarer zu machen.
Bei MHP jedenfalls haben sie sich selbst in die Pflicht genommen und ihre Hausaufgaben gemacht. Sie bilden aus. Die Ausbildung umfasst klassisch das Steuerfach entweder als dreijährige Ausbildung an der dualen Hochschule oder seit diesem Jahr auch an einer privaten Hochschule. Darüber hinaus bieten sie Stellen für Auszubildende im Büromanagement mit Fachrichtung Lohn und Gehalt, Rechnungswesen oder Controlling. Im IT-Bereich finden sich Stellen für einen Digitalisierungskaufmann oder eine Digitalisierungskauffrau. Unterm Strich sind das vier Ausbildungsberufe mit derzeit 21 Auszubildenden. Praktischerweise könnte die Kanzlei derzeit weitere 20 Stellen besetzen. Diese könnten doch dann auch mit den Azubis besetzt werden? „Nein, das ist nicht möglich“, räumt Steffen Hort ein. „Für unser Wachstum suchen wir auch Steuerberaterinnen und Steuerberater. Doch wenn wir unsere Azubis nicht hätten, müssten wir mindestens zehn weitere Stellen ausschreiben.“

Ausbildung verbessern

Um die Situation rund um die Ausbildung weiter zu verbessern, investiert MHP einiges, unter anderem in eine eigene kleine Akademie. Die Gründung dieser Akademie basiert auf der Überlegung, wie es grundsätzlich möglich ist, mehr Azubis im Unternehmen auszubilden. Schon bei fünf Lehrlingen ergebe es keinen Sinn, jedem einen Mentor zur Seite zu stellen, der allen das Gleiche erzählt. „So entstand die Idee, eine eigene kleine Akademie zu gründen. Das ist ein bisschen von großen Industrieunternehmen abgeschaut, die auch ihre Auszubildenden am ersten September erstmal für sechs Wochen zum Lernen auf ein Camp schicken“, meint Steffen Hort. „Wir haben das für uns übersetzt. Das heißt, die Auszubildenden sind tatsächlich – nach einer Woche Einführungsseminar bei einem externen Anbieter – sechs Wochen bei uns in der Akademie und lernen die Grundlagen des allgemeinen Geschäftslebens.“ Die Akademie begleitet die Auszubildenden in den nächsten drei Jahren mit Theorie und Praxis bis zum Zeitmanagementseminar. Daneben werden Seminare der Steuerberaterkammer gebucht. Und das sei oft auch nötig. Schon allein deshalb, weil die Berufsschulen oftmals nicht in der Lage seien, den komplexen Stoff adäquat zu vermitteln. „Bis vor zwei Jahren stand noch die Vermögensteuer im Lehrplan, die es seit vielen Jahren nicht mehr gibt“, so Steffen Hort. Das größte Problem bestehe jedoch in der inhaltlichen Überfrachtung der Ausbildung. Hier brauche es ein grundlegend anderes Ausbildungskonzept. Eines, das den einzelnen Fachrichtungen mehr Autonomie zugestehe und den allumfassenden Steuerfachangestellten nicht zum alleinigen Ziel erklärt. „Es bedarf einer grundlegenden Reform der Ausbildung für den Berufsstand, davon bin ich überzeugt, und das ist viel zu lange versäumt worden“, meint der Steuerberater. „Wer soll bitte Spaß daran haben, an einem Tag eine Lohnabrechnung, eine Buchhaltung, einen Abschluss nebst betrieblicher Steuererklärung und eine Einkommensteuererklärung zu erstellen und sicher zu beherrschen? Warum ist zum Beispiel der Lohn- und Gehaltsbereich kein extra Ausbildungsberuf?“

Mehr Fachkräfte für den Berufsstand

Es lohnt sich für Kanzleien zweifellos, selbst auszubilden, auch dann, wenn einige Lehrlinge nach der Ausbildung wechseln sollten. Doch selbst eine höhere Ausbildungsrate könnte die demografische Entwicklung nicht aufhalten. Manche versuchen mit Quereinsteigerprojekten – etwa in der Personalwirtschaft – gegenzusteuern. Auch bei MHP ist man diesen Weg bereits gegangen. Studienabbrechern eine Ausbildung schmackhaft zu machen, wäre ein anderer. „Beim Thema Fachkräftegewinnung gibt es nicht den einen Königsweg“, sagt Steffen Hort. „Das hängt auch vom Standort ab. Bin ich auf dem Land, bin ich in der Stadt, bin ich im Ballungsgebiet? Wie ist die Kanzlei gewachsen, welche Menschen passen zu der Kanzlei? Deswegen gehen wir unterschiedliche Wege. Social Media mit XING, LinkedIn und Instagram, TikTok wird noch dazukommen. Eine neue Homepage unter anderem mit der Möglichkeit einer Expressbewerbung, die wir Mitte 2024 launchen wollen, wird ein zentraler Baustein werden. Außerdem sind wir bei fünf Ausbildungsmessen pro Jahr präsent. Damit unterstützen wir ganz entscheidend die Maßnahmen der Kammern, den Berufsstand in der Öffentlichkeit zu vertreten. Es ist jedoch bedauerlich, wie wenig andere Kanzleien die Kammern und Kollegen dabei unterstützen.“
Homeoffice ist Standard, genauso wie flexible Arbeitszeiten, die es in der Kanzlei, die viele Mütter beschäftigt, schon immer gegeben hat. Die Arbeit muss Spaß machen und es muss menscheln in der Kanzlei. Das ist Steffen Hort besonders wichtig. Dazu gehört auch ein selbstbestimmtes Arbeiten. Die Mitarbeiter können zum Beispiel sagen, wenn ein Mandat so viel Mühe macht, dass es besser nicht weitergeführt wird. Nach objektiven Parametern wird ein solcher Wunsch dann von der Kanzleileitung geprüft und umgesetzt.

Ausbildung aktiv gestalten

Steffen Hort wäre kein Steuerberater, wenn ihm sein Beruf nicht besonders am Herzen läge. Auch weil er den Berufsstand erhalten will, ist es ihm wichtig, dass neue Fachkräfte ausgebildet werden. „Wir haben einen wirklich spannenden Beruf und ich brenne für junge Menschen mit Elan. Mit etwas Anstrengung können wir diese jungen Menschen dafür begeistern. Daher mein Appell an die Kolleginnen und Kollegen, das Positive an der Ausbildung in den Vordergrund zu stellen. Wenn wir mit einem offenen Mindset nach vorne blicken, dürfen wir uns von unseren Azubis viel erwarten.“
Doch Steffen Hort erwartet von seinen Kollegen mindestens ebenso viel: „In unserer Branche herrscht ein akuter Fachkräftemangel, der die Zukunftsfähigkeit unserer Steuerberatungskanzleien ernsthaft gefährdet. Trotz dieser prekären Situation verhalten sich viele Kollegen noch immer zögerlich, wenn es darum geht, selbst Ausbildungsplätze zu schaffen. Diese Zurückhaltung ist nicht nur eine Verfehlung gegenüber unserem berufsrechtlichen Auftrag, sondern auch ein Bruch der kollegialen Verantwortung. Noch bedenklicher ist das Vorgehen einiger Kanzleien, die mithilfe von teilweise unseriösen Headhuntern Fachkräfte aus anderen Kanzleien abwerben. Wir müssen dringend eine Kultur der gegenseitigen Unterstützung und Förderung etablieren, anstatt uns im Wettbewerb um knappe Ressourcen selbst zu schaden. Es ist an der Zeit, dass jede Kanzlei ihre Rolle in der Ausbildung und Entwicklung von Fachkräften ernst nimmt und aktiv gestaltet.“

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Dietmar Zeilinger

Redaktion DATEV magazin

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