Steuerhinterziehung - 25. Juli 2024

Haftung des Berufsträgers

Auch Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer können für die Steuerschulden des Mandanten in Anspruch genommen werden. Voraussetzung ist, dass ihr Handeln als strafbare Beihilfetat nach der Abgabenordnung zu bewerten ist.

Finanzbehörden und Finanzgerichte haben einen eigenen Beurteilungs- und Entscheidungsspielraum zur Begehung einer Steuerhinterziehung. Einerseits können sie sich die Feststellungen eines Strafgerichts im Falle einer Verurteilung zu eigen machen und andererseits können sie aufgrund eigener Feststellungen zur vollen Überzeugung einer Steuerhinterziehung trotz eines Freispruchs gelangen.

Teilnahme an einer Steuerhinterziehung

Gemäß § 71 Abgabenordnung (AO) haftet für die verkürzten Steuern, wer eine Steuerhinterziehung begeht oder an einer solchen Tat teilnimmt. Nach § 191 Abs. 1 S. 1 AO kann durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden, wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet. Voraussetzung für die Haftungsinanspruchnahme einer Teilnehmerin oder eines Teilnehmers an einer Steuerstraftat ist zunächst die Feststellung, dass eine vorsätzliche Steuerhinterziehung vorliegt. Die Steuerhinterziehung muss tatbestandsmäßig, rechtswidrig und vorsätzlich schuldhaft verwirklicht worden und das Delikt muss vollendet sein. Ein bloßer Versuch begründet mangels eines Haftungsschadens keine Haftung nach § 71 AO. Weitere Voraussetzung für die Teilnahme im Sinne des § 71 AO ist strafbare Beihilfe. Strafbare Beihilfe ist die vorsätzliche Hilfeleistung zu einer vorsätzlich begangenen Straftat eines anderen gemäß § 27 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB). Als Hilfeleistung im Sinne von § 27 StGB ist dabei grundsätzlich jede Handlung anzusehen, welche die Herbeiführung des Taterfolgs des Haupttäters objektiv fördert, ohne dass sie für den Erfolg selbst ursächlich sein muss.

Vorsatz des Gehilfen

Vorsatz des Gehilfen ist gegeben, wenn er die Haupttat in ihren wesentlichen Merkmalen kennt und in dem Bewusstsein handelt, durch sein Verhalten das Vorhaben des Haupttäters zu fördern (sogenannter doppelter Gehilfenvorsatz). Einzelheiten der Haupttat braucht er nicht zu kennen. Zum subjektiven Tatbestand eines Teilnehmers bestehen Besonderheiten, soweit die Beihilfehandlung zugleich die Merkmale eines berufstypischen Verhaltens erfüllt, wie dies zum Beispiel bei der Mitwirkung von Angehörigen der steuerberatenden Berufe an der Erstellung von Steueranmeldungen oder -erklärungen der Fall ist. Hier hält die höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) eine bewertende Betrachtung im Einzelfall nach den nachfolgenden Grundsätzen für geboten (BGH-Urteil vom 22.01.2014 – 5 StR 468/12). Zielt das Handeln des Haupttäters ausschließlich darauf ab, eine strafbare Handlung zu begehen, und weiß der Hilfeleistende dies, so ist sein Tatbeitrag als vorsätzliche Hilfeleistung zu werten. In diesem Fall verliert sein Tun stets den Alltagscharakter. Der BGH spricht hier von einer Solidarisierung mit dem Täter. Weiß der Hilfeleistende dagegen nicht, wie der von ihm geleistete Beitrag vom Haupttäter verwendet wird, hält er es lediglich für möglich, dass sein Tun zur Begehung einer Straftat genutzt wird; dann ist sein Handeln regelmäßig noch nicht als strafbare Beihilfehandlung zu beurteilen. Bedingter Vorsatz kann deshalb – jedenfalls für den Regelfall – nicht weiterführen, weil der professionell Handelnde wegen der beruflichen Normalität seines Handelns auf die Legalität des fremden Tuns vertrauen darf. Dies gilt allerdings dann nicht, wenn das vom Hilfeleistenden erkannte Risiko eines strafbaren Verhaltens bei dem von ihm Unterstützten derart hoch ist, dass er sich mit seiner Hilfeleistung die Förderung eines erkennbar tatgeneigten Täters angelegen sein lässt (BGH-Urteil vom 01.08.2000 – 5einer Teilnehmerin oder eStR 624/99 und vom 18.06.2003 – 5 StR 489/02, mit umfangreichen Nachweisen aus der BGH-Rechtsprechung zum Begriff der Beihilfe im Sinne des § 27 StGB).

Fallbeispiel

Wegen rechtskräftiger Verurteilung des Haupttäters stand finanzgerichtlich fest, dass der Geschäftsführer einer GmbH durch die Einreichung von unrichtigen Umsatzsteuervoranmeldungen in sechs Fällen Steuern der GmbH im Sinne von § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO hinterzogen hatte. Bei den sogenannten Anmeldesteuern, wie etwa einer Umsatzsteuervoranmeldung, ist eine Steuerhinterziehung durch aktives Tun im Sinne von § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO bereits zu dem Zeitpunkt vollendet, an dem die betreffende Umsatzsteuervoranmeldung mit unrichtigen Angaben zu den Besteuerungsgrundlagen beim Finanzamt eingereicht wird. Dies gilt nicht, wenn sich aus der eingereichten Umsatzsteuervoranmeldung ein Anspruch auf Auszahlung von Umsatzsteuer ergibt und deshalb nach dem Gesetz (§ 168 S. 2 AO) die Gleichsetzung der eingereichten Umsatzsteuervoranmeldung mit einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung erst dann eintritt, wenn das Finanzamt der eingereichten Steueranmeldung ausdrücklich zugestimmt hat. Der Steuerberater und Wirtschaftsprüfer, der die GmbH steuerrechtlich betreute, beging nach Auffassung des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 06.03.2018 – 9 K 9306/12 EFG 2018, 1765) objektiv und subjektiv Beihilfe zur Steuerhinterziehung des Geschäftsführers der GmbH und nahm damit im Sinne von § 71 AO an dessen Tat teil. Der Steuerberater und Wirtschaftsprüfer erstellte in seiner Kanzlei die Umsatzsteuervoranmeldungen für die GmbH, deren Geschäftsführer durch vorsätzliche Angabe zu hoher Vorsteuerbeträge Umsatzsteuer hinterzogen hatte. Nach Auffassung des FG leistete der Steuerberater und Wirtschaftsprüfer vorsätzlich Beihilfe, weil er unter anderem nach Aufdeckung der Steuerhinterziehung durch eine Umsatzsteuersonderprüfung die sofortige Durchführung einer die Folgezeiträume betreffenden Anschlussprüfung durch bewusst wahrheitswidrige Erklärungen gegenüber dem Finanzamt verhindert hat. Dadurch ermöglichte er dem Geschäftsführer der GmbH als Haupttäter zugleich, die zunächst in der Buchführung erfassten fingierten Eingangsrechnungen eines vermeintlichen Lieferanten durch solche eines anderen Lieferanten zu ersetzen. Zudem wies der Berater seinen Mitarbeiter an, die diesem von dem Geschäftsführer übergebenen Austauschrechnungen des neuen Lieferanten in die Buchführung der GmbH zu übernehmen und dabei den Austausch nicht durch eine offene Korrektur, sondern unter Verstoß gegen die Vorschrift des § 146 Abs. 4 AO so vorzunehmen, dass die ursprünglichen Buchungsunterlagen (Rechnungen des alten Lieferanten) später nicht mehr erkennbar waren. Schließlich verfälschte der Berater zu seiner eigenen Entlastung später bewusst und nachweislich noch durch nachträglich erstellte und rückdatierte Schreiben den Inhalt der Mandantenakte der GmbH. Die zuständige Staatsanwaltschaft hatte im Vorfeld das strafrechtliche Ermittlungsverfahren gegen den Steuerberater und Wirtschaftsprüfer mangels hinreichenden Tatverdachts unter Berufung auf § 170 Abs. 2 der Strafprozessordnung (StPO) eingestellt.

Rechtliche Würdigung

Hierzu führte der Bundesfinanzhof (BFH) aus, dass es unerheblich sei, ob ein gegen den Haftungsschuldner (hier Steuerberater und Wirtschaftsprüfer) eingeleitetes Steuerstrafverfahren zuvor eingestellt worden sei (BFH-Beschluss vom 28.02.2023 – VII R 29/18). Denn eine strafrechtliche Verurteilung ist nicht Voraussetzung für die Inanspruchnahme nach § 71 AO (BFH-Urteil vom 26.09.2012 – VII R 3/11, Rz. 21, m. w. N.). Auf die Leistungsfähigkeit des Haftungsschuldners kommt es bei seiner Inanspruchnahme nach § 71 AO ebenfalls nicht an (BFH-Beschluss vom 29.08.2001 – VII B 54/01, unter II., m. w. N.). Die Haftung nach § 71 AO setzt nicht voraus, dass der Haftende wegen der Tat oder Teilnahme an ihr strafrechtlich belangt worden ist. Die für die Inanspruchnahme des Haftenden zuständige Finanzbehörde entscheidet selbstständig und unabhängig von der Würdigung durch die für die Strafverfolgung zuständigen Behörden und Gerichte darüber, ob die genannte Steuerstraftat und die angenommene Beteiligungsform vorliegen. Der Haftungsbescheid, der gegen einen Steuerberater und Wirtschaftsprüfer wegen Beihilfe zu einer vorsätzlich begangenen Umsatzsteuerhinterziehung einer GmbH ergeht, ist nicht unter dem Gesichtspunkt nichtig, dass die Finanzbehörde ihre Entscheidung auf Ermittlungsergebnisse einer anderen Finanzbehörde, etwa der Steuerfahndung, gestützt hat. Die Ermittlungsergebnisse anderer Behörden müssen lediglich in sich nachvollziehbar sein und erkennen lassen, worauf sie im Einzelnen beruhen. Keineswegs muss eine Finanzbehörde, die die Ermittlungsergebnisse in einem eigenen Bescheid umsetzen will, eine vorangegangene Ermittlung selbst in allen Einzelheiten wiederholen.

Weitere Konstellationen

Die Einstellung eines eingeleiteten Steuerstrafverfahrens nach § 170 Abs. 2 StPO schließt also nicht aus, dass ein Haftungsschuldner dennoch in Anspruch genommen wird. Gleiches gilt auch bei der Einstellung eines eingeleiteten Steuerstrafverfahrens nach § 153a StPO (BFH-Urteil vom 07.03.2006 – X R 8/05, BStBl 2007, 594) oder einer Erstattung bei einer rechtlich wirksamen Selbstanzeige nach § 371 AO (FG Hamburg, Beschluss vom 14.07.2004 – I 127/04 und 1 184/04, EFG 2005, 166). Hier ist eine Inanspruchnahme des Haftungsschuldners nach § 71 AO ebenfalls möglich. Denn selbst ein Freispruch im Strafverfahren bindet das FG nicht, aufgrund eigener Feststellungen zur vollen Überzeugung einer Steuerhinterziehung zu gelangen (BFH-Beschluss vom 04.05.2005 – XI B 230/03, BFH/NV 2005, 1485 und BFH-Beschluss vom 17.03.2010 – X B 120/09, BFH/NV 2010, 1240).

Fazit

Berufsträger wie Steuerberater, Wirtschaftsprüfer oder Rechtsanwälte dürfen wegen der beruflichen Normalität ihres Handelns auf die Legalität des fremden Tuns ihrer Mandanten vertrauen, es sei denn, das vom Berater erkannte Risiko strafbaren Verhaltens des von ihm Unterstützten ist derart hoch, dass er sich mit seiner Hilfeleistung die Förderung eines erkennbar geneigten Täters angelegen sein lässt. Insoweit kommt es bei der Erstellung von Umsatzsteuervoranmeldungen nicht maßgeblich darauf an, ob der Steuerberater und Wirtschaftsprüfer die Voranmeldungen eigenhändig erstellt und an das Finanzamt abgesandt hat oder ob er lediglich den üblichen Ablauf der Erstellung der Voranmeldungen durch einen ahnungslosen Mitarbeiter hat wissentlich geschehen lassen. Das FG darf im Rahmen seiner eigenen Überzeugungsbildung auch dann von einer Beihilfe des Berufsträgers zur Steuerhinterziehung ausgehen, wenn die Staatsanwaltschaft das Strafverfahren eingestellt hat. In § 71 AO sind die haftungsrelevanten Vermögensgegenstände abschließend aufgezählt, Säumniszuschläge gehören nicht dazu (FG Hamburg, Urteil vom 09.11.1993 – VII 26/88).

MEHR DAZU

Kompaktwissen GmbH „Die Beratung der GmbH aus haftungsrechtlicher Sicht“, 2. Auflage

Zum Autor

Konstantin Weber

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Steuerrecht, Inhaber der WEBER RECHT & STEUERN Kanzlei mit Standorten in Karlsruhe und Baden-Baden; Seine Tätigkeitsschwerpunkte sind Umsatzsteuerrecht, Steuerstrafrecht und Steuerstreitrecht (Einspruchs- und Finanzgerichtsverfahren)

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