Kanzleiperspektive - 30. Mai 2024

Niemand soll sich in die Arbeit quälen

Corona hat für alle viel verändert – vor allem die Art, wie wir heute arbeiten. Mit aktuell 35 Mitarbeitern gehört die Steuerkanzlei Dr. Thomas Siegel im Münchener Speckgürtel zu den mittelgroßen Steuerberatungsgesellschaften und hat in den vergangenen vier Jahren zahlreiche Herausforderungen gemeistert.

Seit Ausbruch der Corona-Pandemie ist die Arbeitslast in meiner Kanzlei sprungartig gestiegen. Dies lag zum einen an zusätzlich entstandenen Aufgabengebieten und Projekten, wie der Beantragung von staatlichen Hilfen und der Grundsteuerreform, aber vor allem an dem zusätzlichen Beratungsbedarf der Mandantinnen und Mandanten zu ihren Geschäftsmodellen im Angesicht der Pandemie. Auch die 2022 sprungartig gestiegenen Zinsen und Preise sowie die Verunsicherung durch den Krieg in der Ukraine haben in meiner Kanzlei sehr viel zusätzlichen Beratungsaufwand ausgelöst. Zudem haben im Umfeld meiner Kanzlei zahlreiche Steuerberater ihre Kanzleien geschlossen, was uns eine Vielzahl neuer Mandanten beschert hat.
Weiter war in den letzten Jahren zu beobachten, dass sich nicht nur die Menge der Arbeit erhöht hat, sondern auch die Arbeitstaktung. Innerhalb der Kanzlei waren die Prozesse schon seit Jahren durchgängig digitalisiert. Mit zunehmender Digitalisierung bei den Mandanten, aber auch bei den Finanzämtern, haben sich die Durchlaufzeiten stark verkürzt. Zusammengefasst haben wir in der Kanzlei festgestellt, dass sich die Arbeitsbelastung und der Arbeitsdurchsatz in den vergangenen Jahren stark erhöht haben. Der Arbeitstag ist zunehmend von Tätigkeiten geprägt, die abseits des Standards liegen und mein Team und mich stark fordern. In unserem Umfeld beobachten wir, dass einfache und mittelschwere Steuererklärungen immer mehr von den Mandanten selbst erstellt werden, dafür aber immer komplexere und kompliziertere Beratungsleistungen von uns gefordert werden. Man muss kein Prophet sein, um zu wissen, dass es aus dieser Entwicklung kein Zurück mehr geben wird. Da künstliche Intelligenz unserem Berufsstand kurz- und mittelfristig allenfalls in der eher standardisierten Beratung Entlastung verspricht, werden wir darauf setzen, mit klugen und engagierten Mitarbeitern individuelle Beratung anzubieten.

Mandanten

Durch die bereits dargestellte zusätzliche Arbeitsbelastung mussten wir ab 2020 recht bald Anfragen von Neumandanten konsequent und generell absagen. Das fiel uns allen nicht leicht, kamen doch sehr interessante Mandatsanfragen, oft auch welche aus dem persönlichen Umfeld. Ich habe dafür sogar ein total skurriles Beispiel: Ein Unternehmer hat bei meiner Sekretärin angerufen, die ihm dreimal erklärt hat, dass wir ihn nicht aufnehmen können – nicht weil wir nicht möchten, sondern weil wir schlicht die Kapazitäten nicht haben. Eines Tages saß ich hier in meinem Büro im Erdgeschoss und plötzlich klopfte es an mein Fenster. Es war genau eben jener Unternehmer, der unter Tränen mit mir persönlich sprechen und mich überreden wollte, ihn doch aufzunehmen. Aber es ging einfach nicht, wir hatten keine Ressourcen dafür. Normalerweise könnte man sich als Unternehmer, der ich ja auch bin, freuen, wenn man so nachgefragt wird. Aber es ist eine ganz schreckliche Situation, weil ich den Menschen ja helfen möchte und in meiner DNA seit 30 Jahren abgespeichert ist, dass wir neue Mandanten nehmen, und ich diesen Switch im Kopf noch nicht wirklich bewerkstelligt habe. Ich befürchte tatsächlich, dass sich einige Unternehmer selbst an ihren Steuererklärungen versuchen oder diese mithilfe von, ich sage mal, Halb-Steuerberatern recht oder schlecht erledigen, was sich natürlich auf die Qualität der Erklärungen auswirkt und das ganze Thema ein wenig in einen Graubereich abdriften lassen wird. Aber ich bin mir auch sicher, dass dieser Zustand eine Pendelbewegung ist. Momentan schlägt das Pendel extrem in die eine Richtung des Ressourcenmangels aus, das Pendel wird aber auch wieder in die andere Richtung schwingen. Deswegen sollte man als Steuerberater nicht arrogant sein und sich nur die Rosinen herauspicken. In drei, vier Jahren kann die Welt auch wieder anders aussehen, sodass wir versuchen, Bodenhaftung zu bewahren.
Insbesondere Corona, aber auch die Zeit danach, in die unerwartete Kriege, ein plötzlicher Zins- und Preisanstieg gefallen sind, waren für die Mandatsbeziehung ein Lackmustest. Nicht wenige Mandatsverhältnisse haben wir in dieser Zeit beendet. Selten waren dafür finanzielle Parameter ausschlaggebend, vielmehr war uns – gerade in dieser Zeit – der zwischenmenschliche Umgang mit den Mandanten wichtig. Dies hat dazu geführt, dass wir heute, vier Jahre nach Ausbruch von Corona, auf eine Mandantenstruktur blicken, die uns viel, interessante und abwechslungsreiche Arbeit beschert und meinen Mitarbeitern und mir viel Freude macht. Nach wie vor betreiben wir eine aktive Pflege unseres Mandantenstamms. Wir nehmen neue Mandanten auf, wenn eine höchstmögliche Übereinstimmung unserer gemeinsamen Ziele vorliegt. Wir sprechen mit bestehenden Mandanten, wenn es in der Zusammenarbeit Herausforderungen gibt, und wir beenden Mandatsverhältnisse, wenn wir erkennen, dass wir nicht mehr der richtige Partner sind.
Eine entscheidende Entwicklung hat sich bei der persönlichen Beziehung zu unseren Mandanten im Laufe der Jahre ergeben: War bis 2019 der Arbeitstag durch sehr viele persönliche Besprechungen geprägt, so sind diese zum größten Teil weggefallen oder durch Videokonferenzen ersetzt worden. Durch die Weiterentwicklung der Digitalisierung bei Mandanten haben sich die Besuche stark reduziert, bei denen sie die Unterlagen vorbeigebracht oder wieder abgeholt haben. Da die Fortbildungen zum größten Teil online stattfinden, haben meine Mitarbeiter und ich nur noch selten einen Anlass, aus beruflichen Gründen die Kanzlei oder das Homeoffice zu verlassen. Dies ist aus Effizienzgründen natürlich zu begrüßen. Wir vermissen jedoch den zwischenmenschlichen Kontakt zu unseren Mandanten und sind deshalb bestrebt, diesen wieder zu intensivieren.
Im Hinblick auf die für 2030 geplante Kanzleiübergabe an meinen Sohn Dr. Felix Siegel war und ist die Pflege der Mandantenstruktur ein wichtiger Punkt der strategischen Planung. Aber auch für die Zufriedenheit der Mitarbeiter ist es von großer Bedeutung, wenn die zu beratenden Mandanten zur Kanzlei und zu den dort arbeitenden Menschen passen.

Mitarbeiter

Die vergangenen vier Jahre waren für meine Kanzlei eine echte Belastungsprobe in vielerlei Hinsicht – ich meine, dass wir diese Probe bestanden haben. Der wesentliche Grund dafür war und ist mein Team. Als die Kanzleimannschaft im Frühjahr 2020 mit jeweils eineinhalb Metern Abstand im Garten der Kanzlei stand, und ich aufgrund der behördlichen Vorgaben jeden nach Hause ins Homeoffice schicken musste, waren wir uns nicht sicher, ob es die Kanzlei am Ende des Jahres 2020 noch geben würde. Recht schnell hat sich herausgestellt, dass die bereits 2007 umgesetzte Digitalisierung sich jetzt voll auszahlte. Viel entscheidender aber war der professionelle Umgang meines Teams mit der neuen Situation. Innerhalb weniger Stunden funktionierten die Heimarbeitsplätze und wir waren für unsere Mandanten erreichbar. Alle Mitarbeiter haben sich in dieser neuen Situation sehr schnell selbst organisiert. Ähnlich hat es sich in Folge in vergleichbaren Situationen verhalten. Gleich, ob es sich um die Überbrückungshilfen oder die Grundsteuererklärungen drehte: Mein Team hat das ohne große Vorgaben der Kanzleileitung professionell umgesetzt. Nach wie vor ist es eine große Herausforderung, qualifizierte Mitarbeiter zu gewinnen. Wir haben in den vergangenen Jahren viel in unsere Auftritte in den sozialen Medien investiert. Ziel war es, Außenstehenden zu vermitteln, dass wir viel Wert auf ein gutes Betriebsklima und eine ausgewogene Arbeitsbelastung legen. So konnten wir trotz oder wegen all der Herausforderungen einige sehr gute Mitarbeiter gewinnen. Als Herausforderung, die auch heute noch besteht, stellte sich die Aufnahme von neuen Mitarbeitern in das Team dar. Da nach wie vor ein bedeutender Teil der Arbeitsleistung in den Homeoffices erbracht wird, können oft Wochen vergehen, bis der neue Mitarbeiter alle Kollegen persönlich kennenlernt. Wir bitten alle Mitarbeiter, dienstags möglichst ins Büro zu kommen. An diesem Tag halten wir unsere Mitarbeiterbesprechung in Präsenz ab. Wegen gebuchter Fortbildungen, Urlaub oder Krankheit sind nicht immer alle Mitarbeiter anwesend. Durch diverse kanzleiinterne Veranstaltungen geselliger Art versuchen wir, den persönlichen Kontakt nicht zu verlieren.

Aktuelle Situation

Derzeit befindet sich unsere Kanzlei in einer Konsolidierungsphase. Die diversen Sonderprojekte sind vollbracht und die letzten Steuererklärungen für 2022 werden übertragen, sodass wir wieder verstärkt die proaktive Beratung unserer Mandanten angehen. So können mein Team und ich die Umsetzung der Digitalisierung bei den noch analogen Mandaten unterstützen. Auch die Übergabeberatung spielt aufgrund der hohen Grundstückspreise und der zahlreichen Unternehmermandanten eine große Rolle.
Unser Ziel ist nicht, die Kanzlei zu vergrößern. Mit unseren derzeit 35 Mitarbeitern wollen wir uns zunehmend auf die individuelle Beratung konzentrieren und die Standardprozesse weiter automatisieren. Für unsere Mitarbeiter wollen wir mit der Kanzlei eine Oase erhalten, in die sie gerne zum Arbeiten kommen, in der sie nette Kollegen und Chefs treffen, mit angenehmen und interessanten Mandanten zu tun haben und beizeiten auch wieder ihren privaten Bedürfnissen nachgehen können. Niemand soll sich in die Arbeit quälen oder in der Arbeit leiden.

Resümee und Ausblick

Die Zeit seit Januar 2020 hat die Steuerberaterbranche und auch meine Kanzlei vor enorme Herausforderungen gestellt. Gezwungenermaßen mussten wir uns in fachlicher, prozessualer und zwischenmenschlicher Hinsicht neu erfinden – mit der Erkenntnis, dass dieser Prozess noch nicht zu Ende ist. Wir sind uns sicher, dass uns dieser Veränderungsprozess sehr geholfen hat, die Kanzlei fit für die Zukunft zu gestalten. Wir wissen heute genauer als vor vier Jahren, mit welchen Mandanten wir zusammenarbeiten, welche Mitarbeiter wir im Team haben und wie wir unsere Arbeit umsetzen wollen.

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Zum Autor

TS
Prof. Dr. Thomas Siegel

Steuerberater und Inhaber der Steuerkanzlei Dr. Thomas Siegel in Zorneding

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