Steuerpolitik - 28. Juni 2024

Warum nicht ein bisschen mutiger?

Lars Feld ist Professor für Wirtschaftspolitik an der Universität Freiburg und Leiter des dortigen Walter Eucken Instituts. Nach zehn Jahren im Rat der Wirtschaftsweisen ist er außerdem seit 2022 ehrenamtlicher persönlicher Berater von Bundesfinanzminister Christian Lindner für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung. Wir sprechen mit Lars Feld über geschrumpfte Wachstumsförderung, Haushaltslöcher und Klein-Klein in der Steuerpolitik.

Das Interview führten Constanze Elter und Carsten Fleckenstein

DATEV magazin: Sie haben sich vielfach mit dem Wachstumschancengesetz befasst. Wonach wurden Sie hinsichtlich des Gesetzes noch gar nicht gefragt?
LARS FELD: Viele Fragen, die man in der Steuerpolitik stellen kann, sind natürlich nicht gefragt worden. Warum man nicht noch ein bisschen mutiger in der Steuerpolitik ist, das blieb außen vor. Man hatte so ein bisschen den Eindruck, dass am Ende Bund und Länder froh waren, dass sie überhaupt etwas hingekriegt haben.

Warum ist man denn nicht ein bisschen mutiger gewesen?
Das lag vor allen Dingen an den Ländern. Die Länder wollten die Steuermindereinnahmen, die sich mit dem Wachstumschancengesetz ergeben hätten, geringer halten, obwohl die Finanzlage der Länder in vielerlei Hinsicht deutlich günstiger ist als die des Bunds. Die meisten Länder haben noch zuletzt Überschüsse realisiert und damit auch ganz andere finanzielle Spielräume. Strukturell haben die Länder seit der letzten Reform, die seit 2020 in Kraft ist, auch einen größeren Anteil an den Steuereinnahmen als der Bund. Insofern ist mein Verständnis für diese Haltung der Länder relativ gering.

Haben Sie eine Vermutung, warum die Länder nicht ein bisschen mehr Entgegenkommen signalisiert haben?
Alle haben im Grunde Sorge, dass das, was sie an Subventionen auf der Ausgabenseite für die Transformationen zu leisten hätten, ohne die Steuereinnahmen, mit denen sie jetzt rechnen, im Status quo nicht zu bewerkstelligen wäre. Jetzt kann man aber auch im Hinblick auf die Subventionen sehr kritisch sein. Es ist schon auch von der Länderseite ein umfassendes Subventionsvolumen, das noch zu dem des Bunds hinzukommt. In vielerlei Hinsicht sehe ich das sehr kritisch und hätte mir gewünscht, dass man viel stärker auf allgemeine Verbesserung der Rahmenbedingungen setzt, insbesondere in der Steuerpolitik. Bei der Verlustverrechnung sind verschiedene Verbesserungen erreicht worden. Wir haben im Hinblick auf die Thesaurierungsbegünstigung leichte Verbesserungen erreicht. Das ist strukturell begrüßenswert, beides. Es kommt auf diese strukturellen Verbesserungen viel stärker an als auf das Volumen, wenn man das Wachstumschancengesetz bewerten will.

Viele dieser Regelungen sind allerdings befristet. Warum sollte es denn nach Auslaufen der Regelung, zum Beispiel zur degressiven Abschreibung, nicht wieder schlechter werden?
Wenn man das ökonomisch beurteilt, sind in der längeren Frist vor allem Vorzieheffekte zu erwarten. Deswegen bin ich bei den Befristungen in dieser Hinsicht nicht so kritisch. Es bleibt eine gewisse Entlastung übrig, gerade weil das auch intertemporal Effekte hat, aber im Großen und Ganzen ist der Effekt dann geringfügig, wenn man es für die längere Frist betrachtet.

Anfang und Mitte der Nullerjahre gab es noch die degressive Abschreibung. Dann wurde sie wieder gestrichen, dann kam sie mal wieder für eine kurze Zeit, dann wurde sie wieder gestrichen – und kam zurück während der Corona-Pandemie. Verursacht man nicht zusätzlich Bürokratie, wenn man immer wieder Regelungen einführt, abschafft, einführt, abschafft?
Ja, natürlich. Mit jedem Jahressteuergesetz führen wir neue bürokratische Regelungen ein. Sinnvoll wäre es, bei jeder einzelnen Maßnahme Bürokratie zu reduzieren. Wir verlangen viel an Compliance von den Steuerpflichtigen: Gerade für Unternehmen ist die steuerliche Komplexität mittlerweile enorm hoch, sodass eine Umsetzung für die Finanzämter vor Ort schwierig wird. Da sind wir schon auf einem Niveau angelangt, bei dem man größere Schritte benötigt, um Steuervereinfachungen herbeizuführen, als die dauerhafte Einführung der degressiven AfA.

Wäre es vielleicht besser, sich an einigen Befristungen aus dem Wachstumschancengesetz ein Beispiel zu nehmen und viel mehr Regelungen mit einer Art Sunset Clause zu versehen?
Es wäre insgesamt günstiger, sich Gedanken darum zu machen, was man im Steuerrecht mit Sunset Clauses versehen kann. Aber ich muss auch klar sagen: Wir bekommen vor allen Dingen konjunkturpolitische Reaktionen. Sie haben die Corona-Krise angesprochen. Auch in der Finanzkrise davor gab es den Übergang zur degressiven AfA. Und gerade auch mit der Idee, Investitionen vorzuziehen, also einen Anreiz zu geben für die Unternehmen, die Gewinne realisieren können beziehungsweise noch gute Möglichkeiten haben, ihre Verluste zu verrechnen, dass Investitionen in den Zeitpunkt vorgezogen werden, zu dem die Wirtschaft insgesamt noch schwächelt. Ich würde mir schon vorstellen, dass man im Hinblick auf Steuerreformen noch einmal in den Blick nimmt, was wir in früheren Zeiten diskutiert haben, nämlich einen stärkeren Übergang zu Finanzierungsneutralität, zu Rechtsformneutralität, also Aspekte, die Ökonomen und betriebswirtschaftliche Steuerlehrer vor allen Dingen interessieren. Das ist im Moment völlig außen vor. Wir diskutieren über Details, Klein-Klein in der Steuerpolitik. In den letzten 15 Jahren ist nicht mehr wirklich diskutiert worden, wie wir es schaffen, ein effizienteres Steuersystem hinzubekommen. Ich bedauere sehr, dass wir gerade auch in der jetzigen Situation mit großen Strukturproblemen und schlechter Kostensituation für Unternehmen es nicht schaffen, eine umfassendere steuerpolitische Diskussion in die Wege zu leiten, geschweige denn die entsprechenden Maßnahmen.

Momentan werden viele Stimmen, auch aus der Wirtschaftswissenschaft, laut, die sagen, wir müssen noch mehr Geld ausgeben. Wir können nicht in die Krise hineinsparen. Wie würden Sie solche Positionen bewerten?
Ich bin im Hinblick auf diese Diskussion angesichts der tatsächlichen konjunkturpolitischen Lage relativ standhaft. Unsere Situation ist im Wesentlichen durch ein stagflationäres Umfeld gekennzeichnet. Zwar ist das im vergangenen Jahr abgeglitten in die Rezession mit minus 0,3 Prozent für das Gesamtjahr in die Rezession abgeglitten, aber wenn Sie sich die Bewegung in den einzelnen Quartalen anschauen, bewegt es sich um die Nulllinie herum, also ein eher stagnatives Szenario für das Wirtschaftswachstum bei relativ hoher Inflationsrate. In einer solchen Situation kann man nicht mit expansiver Fiskalpolitik dagegensteuern, denn das würde die Bekämpfung der Inflation nur erschweren. Deswegen ist eine moderat restriktive Finanzpolitik richtig.

MEHR DAZU

Das vollständige Interview können Sie in unserem Podcast „Steuern. Mit Recht! Der DATEV-Podcast“ hören.

Zu den Autoren

Constanze Elter

Steuerjournalistin, Redakteurin und Podcasterin bei DATEV.

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Carsten Fleckenstein

Redakteur und Podcaster bei DATEV.

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